„Du hast ein Helfersyndrom“

■ Vilma Greinert sammelt Spenden für ein Kinderkrankenhaus in Lima/40 Prozent der Kinder habenTbc

Die kleinen Härchen am Unterarm liegen flach auf der braunen Haut. Doch wenn die Peruanerin Vilma Greinert vom Kinderkrankenhaus im Slumdorf „Villa el Salvador“ spricht, bekommt sie eine Gänsehaut. In den Augen sammeln sich tatsächlich Tränen. Vilma Greinerts Mann Herbert sitzt neben ihr am Tisch: „Du hast ein Helfersyndrom.“ Seit zehn Jahren sammelt die 49jährige Medikamente, Kleider, Bettwäsche und medizinische Geräte, um sie per Container nach Villa el Salvador zu schicken. Am 6. September wird sie in der Krankenhaushalle stehen und das 7000 Kilo schwere Spendenpaket an 1000 kranke Kinder sowie Ärzte und PflegerInnen verteilen. „Das ist ein Gefühl, da innen drin“, sagt sie und zeigt auf die Brust, „das kann man einfach nicht beschreiben.“

Seit 27 Jahren wohnt die in der kleinen Hafenstadt Callao geborene Peruanerin jetzt in Deutschland. Gut gelebt hätte sie in Callao und dort als Sekretärin in einem Speditionsbüro gearbeitet. Ihr Vater war Fischer und erwarb bald darauf sein Kapitänspatent. Das Hafenstädtchen profitierte vor allem von der japanischen Fischindustrie. Doch draußen, in den Slums rund um die peruanischen Hauptstadt Lima, ging es ganz anders zu. Dort stehen Lehmhütten dicht an dicht im staubigen Sand, ohne fließendes Wasser und Strom. Die Slumbewohner gehen nach Lima, um dort vor dem Kino salzige Nüsse zu verkaufen. Für ein paar Pfennige kaufen sie sich Kartoffeln und schwarzen Mais, der abgekocht, gekühlt und mit Limonen und Zucker getrunken wird. „Daß mein Land so arm ist, wurde mir erst in Deutschland bewußt,“ sagt Vilma Greinert, die sich 1986 entschloß, in Bremen einen Deutsch-Peruanischen Kulturverein zu gründen. „Ich wollte etwas für unser Land tun“, sagt sie, „vor allem für die Kinder, denn sie sind Perus Zukunft.“ Durch eine Bekannte im Verein erfuhr sie, wo die Not in Peru am größten ist. Schnell war die Adresse vom Kinderkrankenhaus in Villa el Salvador gefunden, und die Suche nach Spenden ging los.

Über 40 Prozent der peruanischen Kinder leiden an Tuberkulose. Oft werden sie mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht, denn in den Lehm- und Strohhütten spenden Kerosin-Lampen Licht. Der Stromanschluß ist zu teuer. „Mit Kerosin kann es schnell zu Feuer kommen“, sagt die 49jährige. Oft müssen die Verletzten stundenlang warten, denn in der für 600 Kinder ausgelegten Klinik werden ständig über 1000 kleine Patienten versorgt. „Dort fehlt es an allem“, weiß die Peruanerin: Vom Bettlaken über Antibiotika bis hin zu Spritzen, Babynahrung und Kanülen. Vom peruanischen Konsul in Bremen hat Vilma Greinert eine Vollmacht bekommen, mit der sie bei der Bundeswehr, bei Pharmakonzernen und bei Milupa sammeln geht. „Die Deutschen sind großzügig“, sagt die aktive Frau mit Hochachtung in der Stimme. Sauer wird sie jedoch, wenn die Bremer einfach ihren Sperrmüll vor die Tür stellen.

Heute weiß sie, daß in der Hauptstadt Lima mit ihren 60 Prozent Arbeitslosen kaum jemand überhaupt Stühle hat. Daß die ehemalige Bürofrau einer peruanischen Spedition einmal „andern Leuten den Po abwischen würde“, hätte sie sich damals nie vorstellen können. „Igitt“, habe sie damals zu ihrem Vater gesagt. „Der wollte, daß ich Krankenschwester werde.“ Heute ist sie es: Nach der Geburt ihrer beiden Söhne schulte sich Vilma erst zur EDV-Assistentin um. Doch dann gab ihr eine Freundin den Tip: „Warum wirst du nicht Krankenschwester“. Seit fünf Jahren arbeitet sie jetzt im Altenheim „Ellem“ vom Diakonischen Werk. Wegen ihrer „Ersatzfamilie“ hat sich Mann Herbert schon oft zu Hause die Haare gerauft: „Die macht sich oft solche Sorgen und kann abends gar nicht mehr abschalten.“ Vilma Greinert stört das kaum. Tag und Nacht nimmt sie Spenden entgegen, packt damit ihre Garage voll und hetzt ihren Mann zum Holzhafen, wo sie säcke- und kartonweise Medikamente und Wäsche gelagert hat. „Kaputt“ sei sie oft und humpelt mit einem verbundenen Knie die Treppe hinab. „Nervenentzündung“, sagt sie knapp, „aber ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Denn wenn sie am 3. September im Krankenhaus steht, „ist alle Anstrengung vergessen“.

Katja Ubben