Die Stimmen des Landes

■ Das Ernst-Deutsch-Theater beginnt die Saison mit Wartesaal Deutschland Stimmenreich von Klaus Pohl: eine revue-artige Befindlichkeits-Montage

1994 durchreiste Klaus Pohl die deutschen Lande und hielt den Menschen ein Mikrophon und eine Videokamera vor das Gesicht, und heraus kam eine Reportage im Spiegel und das Theaterstück Wartesaal Deutschland.

Mit dieser montierten Befindlichkeitsstudie des uneinen Deutschland eröffnet das Ernst-Deutsch-Theater heute seine neue Spielzeit – mit Menschen, die von sich selbst erzählen, als wäre der Theatersaal, das Schwarz vor der Bühne die Linse einer riesengroßen Filmkamera, die dokumentarisch alles festhält. Nach einem Gespräch mit Pohl hat Regisseur Yves Jansen aus den schwer spielbaren, oft statischen Monologen der Vorlage seinerseits eine Montage gemacht, die dramatischer an den Stoff herangeht. „Yves Jansen hat einige der großen Monologe stehen gelassen, ansonsten die Texte aber als Material verwendet, um sie in szenischen Einlagen zu nutzen“, erklärt Dramaturgin Christiane Schultze-Jena.

Aus dem Monologmaterial entstand auf diese Weise eine Art Revue, ein Bilderbogen deutscher Stimmungen: Vom Bürgermeister bis zur Arbeiterin reihen sich die Lebensgeschichten in all ihren Unterschiedlichkeiten und Parallelen.

Gerade die Umsetzung von „großer Politik“ in das „kleine Schicksal“ lobt denn auch die Dramaturgin: „Für mein Dafürhalten ist es ein hochpolitisches Stück, das nicht papieren ist, weil es dicht am Schicksal bleibt. Es ist eines der wenigen Stücke, die sich exemplarisch und in sehr spannender Weise mit Gegenwart auseinandersetzen“, schätzt Christiane Schultze-Jena. „Alle Leute reden davon, wie schwierig die Einheit vonstatten geht, und dieses Stück zeigt es.“ Mit der ganzen Grausamkeit der banalen, zutreffenden Feststellung.

Während er die großen Monologe der „Zeitzeugen“ in vollkommen realistischer Manier inszeniert, stellt Regisseur Yves Jansen immer auch eine zweite, überhöhte, überzogene Ebene neben die Nennung von Alltag: Da singt die wunderbare Dorothea Kaiser, am Flügel begleitet vom wunderbaren Uli Krohm, Lieder von Zarah Leander und die Medleys deutschen Spießertums. Da gebiert sich eine Talkshowrunde in manischer Haltung wie der Teil eines Alptraums mit Bewegungsregie (Susanne Grüttner). Und da stammeln verfünffachte Sessel-Potatoes wie im Zeitraffer auch ihre Sicht der Dinge in minimalisierten Äußerungen.

Im Ernst-Deutsch-Theater hat es immer auch zeitkritische Stücke gegeben. Das Neue an der Eröffnung dieser ersten ganz von Isabella Vertés geplanten Spielzeit ist sicher der Umgang mit dem Bühnenbild, wohl auch die Stückauswahl. Neu sind aber auch viele der Schauspieler, die dem Stück teils ihre Heimatdialekte offerieren. Wenn die Regie eine lebendige Strenge einhält ein spannender Abend.

Thomas Plaichinger

Do, 22. August, 19.30 Uhr, EDT