Urwälder werden zu Zeitungspapier

Greenpeace-Aktivisten ketten sich an Sägen fest. Sie wollen den finnischen Großkonzern Enso stoppen, dessen Lieferfirmen russischen Wald für das Papier deutscher Verlage abholzen  ■ Aus Helsinki Reinhard Wolff

Greenpeace-Aktivisten ketteten sich gestern in der ostfinnischen Provinz Karelien an Holzfällmaschinen fest. Damit protestierten sie gegen den finnischen „Enso“-Konzern und seinen fortwährenden Raubbau an den letzten skandinavischen Urwaldgebieten. Flächendeckend und unwiederbringlich verschwindet hier wertvoller Waldbestand, der sich zu Zeiten des Kalten Kriegs ungestört an der russisch-finnischen Grenze entwickelt hat, in den Schnitzelmühlen der Papierfabriken. Seit Monaten hatte Greenpeace Enso beschuldigt, Holz aus diesen Urwäldern zu verarbeiten. Der Konzern, der 1994 einen Jahresumsatz von etwa sechs Milliarden Mark machte, hatte das stets bestritten. Jetzt belegt Greenpeace seine Kritik mit Fotos.

Enso hatte bislang gegenüber deutschen Kunden, darunter Springer und Gruner & Jahr, stets betont, der Papierrohstoff stamme aus „naturschonender“, einheimischer Produktion. Doch seit der Öffnung der Grenzen nach Osten haben sich Enso und viele andere skandinavische Forstkonzerne nach Rußland und zum Baltikum hin orientiert, um dort billigen Holznachschub aus Kahlschlägen aufzukaufen. An der finnisch-russischen Grenze fallen derzeit drei der letzten unberührten Urwaldgebiete den Sägen zum Opfer.

Gleichzeitig tut die Forstwirtschaft alles, um die schon seit Jahren geforderte Waldzertifizierung zu sabotieren. Über das Zertifikat der Naturschutzbewegung, das vom „Forest Stewardship Council“ (FSC) entwickelt wird und den Kunden eine naturschonende Produktion des Papiers garantieren soll, wird noch diskutiert. Mittlerweile versuchen die Papierkonzerne ihre umweltbewußten Kunden mit hausgemachten „Zertifikaten“ zufriedenzustellen, die oft nicht halten, was sie versprechen.

Die EU hat es bislang versäumt, ein eigenes Zertifikationssystem zu entwickeln. In der EU-Kommission werden nach wie vor vier unterschiedliche Modelle diskutiert, ohne daß man zu einer Einigung gekommen ist. Die Lobby der Forstwirtschaft versucht, möglichst jede zwingende Zertifizierung zu verhindern. Sie argumentieren, daß die Forderungen der immer umweltbewußteren Kundschaft schon jetzt dazu geführt hätten, daß die skandinavischen Wälder überwiegend naturschonend bewirtschaftet würden.

Wie sehr dies Augenwischerei ist, beweist ein ebenfalls gestern veröffentlichter Appell führender Forstbiologen in Stockholm. Nach deren Bilanz fallen nach wie vor tagtäglich wertvolle Schlüsselbiotope und Naturwälder den gigantischen Abholzmaschinen der Forstwirtschaft zum Opfer, die in einer Achtstundenschicht je tausend Bäume verarbeiten kann. Die 83 ForscherInnen werfen der schwedischen Regierung vor, die in Rio 1992 unterzeichnete Artenschutzkonvention nicht einmal ansatzweise zu erfüllen. Das Land liege trotz gegenteiliger Beteuerungen ganz am Ende der Liste europäischer Länder, was geschützte Waldgebiete angehe. Stetig würden weitere ökologisch wichtige Waldgebiete von ihren Eigentümern abgeholzt, weil keine Gesetzgebung dies verhindere. Stockholm habe sich international dazu verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren 10.000 Schlüsselbiotope zu schützen. Nach Ablauf der halben Zeit seien gerade ein paar hundert tatsächlich gesichert.