Demonstranten stürmen Parlament

■ In Australien protestieren Tausende gegen die Sparpolitik der liberal-konservativen Regierung. Einige Demonstranten dringen bis ins Foyer des Parlaments vor. Die Polizei kann das Gebäude wieder räumen

Canberra (dpa/taz) – Mehrere hundert Demonstranten haben gestern in der australischen Hauptstadt Canberra das Parlamentsgebäude belagert und schließlich gestürmt. Sie zerbrachen die gläserne Eingangstür des Gebäudes und drangen bis in das Foyer und in den Plenarsaal vor, wie ein Sprecher der australischen Behörden berichtete. Die Demonstranten hatten sich von rund 20.000 Teilnehmern einer Kundgebung abgesetzt, die friedlich gegen die geplanten Kürzungen der Regierung im Sozialbereich protestiert hatten. Es war die größte Kundgebung in der australischen Hauptstadt seit über 20 Jahren. In anderen Städten Australiens gingen ebenfalls Zehntausende auf die Straße, um gegen die Sozialpolitik der liberal-konservativen Regierung unter Premierminister John Howard zu protestieren.

Bei dem Zwischenfall im Parlament wurden nach offiziellen Angaben 60 Polizisten und mehrere Demonstranten verletzt. Einige mußten medizinisch betreut werden. Nach Angaben der Behörden war es etwa 20 Demonstranten gelungen, die letzten Sicherheitsbarrieren der Polizei zu durchbrechen und bis ins Foyer des Parlaments vorzudringen. Während der Ausschreitungen befand sich Ministerpräsident John Howard im Parlamentsgebäude. Die Demonstranten skandierten Parolen wie „Johnny, wir holen dich heraus!“ 300 Polizisten in Kampfanzügen räumten schließlich das Parlamentsgebäude unter Einsatz von Schlagstöcken. 30 Personen wurden vorübergehend festgenommen. In einer ersten Stellungnahme bezeichnete Ministerpräsident John Howard die Demonstrationen als „unaustralisch“.

Zu den Kundgebungen hatten die australischen Gewerkschaften aufgerufen. Sie befürchten, daß die geplanten neuen Arbeitsgesetze der Howard-Regierung ihre traditionell starke Stellung schwächen werden. Die umstrittenen Gesetzesvorhaben stehen heute zur Beratung im Abgeordnetenhaus an. An der Demonstration in Canberra nahmen auch zahlreiche Ureinwohner und StudentInnen teil. Die Regierung hatte in der vergangenen Woche drastische Kürzungen für die Dachorganisation der Aborigines ATSIC angekündigt.

Nach den Plänen der Regierung sollen StudentInnen in Zukunft wesentlich höhere Studiengebühren zahlen. Vom Sparkurs der Regierung sind aber auch zahlreiche andere Australier betroffen. Arbeitslosengruppen werden weniger Geld bekommen, für Besserverdienende wird die Abgabe zur Krankenversicherung erhöht, Tausende Angestellte im öffentlichen Dienst sollen entlassen werden.

Seit 1990 bestimmt eine Rezession die australische Wirtschaft. Der 56jährige John Howard will in den nächsten Jahren drastische Ausgabenkürzungen durchsetzen, um das anfallende Haushaltsdefizit zu verringern. Nach Angaben von Schatzkanzler Peter Costello soll das Defizit in den beiden kommenden Finanzjahren um jeweils vier Milliarden australische Dollar (4,6 Milliarden Mark) verringert werden. Bis zum Haushaltsjahr 1997/1998 will der Schatzkanzler das Defizit völlig ausgleichen.

Im März 1996 hat das konservativ-liberale Bündnis mit einem komfortablen Ergebnis die Wahlen gewonnen und die Labour-Regierung nach 13 Jahren abgelöst. Im australischen Parlament verfügt die Liberale Partei von Ministerpräsident Howard über 76 Sitze, die Nationale Partei stellt 18 Abgeordnete, die Labour-Partei hat 46 Sitze im Parlament. Unter der Labour-Regierung war es in der Vergangenheit wegen des Haushaltsdefizits wiederholt zu Regierungskrisen gekommen.