Pop komm raus...
: Cobra, übernehmen Sie!

■ Heute schon einen runtergeladen?

Miniskandal gegen Ende der Popkomm: Tocotronic haben den Viva-Musikpreis „Comet“ abgelehnt! Wetten, daß Viva das aus der Sendefassung rausschneidet? Ansonsten verblüfft Jahr für Jahr, mit welch rasender Geschwindigkeit sich das Areal am Sonntagnachmittag leert, hat die Adhäsionskraft der Messe erst einmal nachgelassen. Mit Sack und Pack und Pappen unterm Arm hasten die Anbieter über die Rolltreppen nach draußen, als wäre Wüstenrot-Tag. Gerade noch vor der einsetzenden Rückreisewelle das große „Lesen im Kaffeesatz der Trends“, eine launige, konsequent nach dem Talkshowprinzip gemodelte Veranstaltung, in der Vertreter von Musikmagazinen und Sendern Prognosen wagten. Also: Ins Haus stehen uns '97 die mittlerweile überfällige Techno-Boygroup (Jürgen Laarmann von Frontpage), weniger Indie- und noch mehr sogenannter Post-Rock und Electronic- listening (Christoph Gurk von Spex). Goetz Kühnemund von Rock Hard sagt für '97 Erfolge von KISS, Rolling Stones und skandinavischem Heavy Metal voraus. Boygroup des Jahres im Metal- Bereich: Scandalica. Erhalten bleiben uns Viva und Viva 2, ergänzt um Viva Print und Viva Online. Alle außer Laarmann, der natürlich für Frankfurt ist, wünschen sich Dortmund als Meister, befürchten aber, daß Bayern es wird. Daß das Prognostizieren heute nur noch als Witzveranstaltung funktioniert, hat weniger witzige Hintergründe für die Gesamtbranche. Es ist, schreibt Dieter Gorny fast schon kleinlaut im Katalog, „als würde man auf der Basis von Stammesriten Regenmacher losschicken“. Doch keiner weiß, wie die Formeln gehen. Ganz schön naturwüchsig, dieser späte Medienkapitalismus, er sucht sich die Kanäle, die er will, und wenn ein paar Arten dabei aussterben, kümmert's ihn nicht. Die Götter müssen verrückt sein.

Kehren wir von hier aus in den dialektisch gewendeten Hard-facts-Bereich zurück und ziehen die Quersumme:

1. Die Zeiten der technologischen Hypes im Pop sind vorbei. Wer als Käufer in Frage kommt, hat bei Freunden, am Arbeitsplatz oder in einem Internet- Café schon einmal eine Homepage angeklickt und erkannt, daß das Leben sich hinterher nicht sehr viel anders anfühlt. Im Herbst, das läßt sich schon an der Zahl der anstehenden medienkritischen Buchpublikationen ablesen, kommt erst einmal der große Internet-Backlash: Für den Durchschnittsconsumer bietet die Sportschau mit ihrem weiten Feld an Diskussionsritualen immer noch mehr Interaktivität als das im Grunde einsame Chatten in der Box. Auch mag er sich nicht mehr alle paar Jahre einen neuen Datenträger unterjubeln lassen (siehe den Flop der Mini-Disc), und die Datenkompression im Internet ist noch nicht so hoch, daß die „virtuelle Jukebox“ einnahmeträchtig installiert werden kann. Ein freundlicher Kapitalist beschrieb es mit dem Bild von Schläuchen, die existieren, allein, es fehlt vorläufig der Wein.

2. Diese poetische Sicht der Dinge war die Ausnahme im Kommunikationskarussell der Popkomm. Trotz des Trends hin zu Jungle bzw. Drum'n'Bass, der Musik, die die Möglichkeiten der Digitalisierung auch ästhetisch umsetzt, fehlt auf breiterer Front die Pop-Software, die den Kauf von Hardware-Terminals wirklich zwingend macht. „1996 stehen wir vor dem Phänomen, daß die bewährten Zutaten von vielen Bands und ganzen Genres bereits zum wiederholten Male umgeschlagen worden sind“, heißt es im Katalog in Anspielung auf das Revival von Sex Pistols, Eagles und den gesamten Britpop- Hype. Die Angst geht um, daß DER KÄUFER das irgendwann mal merkt – verarschen kann er sich schließlich selber.

3. Über kurz oder lang wird der immaterielle Tonträger, den man sich vom Internet ins Wohnzimmer runterlädt (klingt immer ein wenig onanistisch, oder?), natürlich doch kommen. Die Grünen müßten sich eigentlich dafür stark machen, denn die nonphysische Distribution spart Unmengen von Rohstoffen und rettet womöglich den Regenwald. Aber da fangen die Probleme der kommerziellen Nutzung erst an, denn nichts ist schwerer zu kontrollieren als ein Markt, der nur noch aus digitalisierten Datenströmen besteht. Geschwindigkeit und Diversifizierung atomisieren das Kaufverhalten weiter, von rechtlichen Problemen ganz abgesehen – wem gehört eigentlich das Internet? Die Tonträgerindustrie legt die bestehenden Gesetze natürlich dahingehend aus, daß es sich beim Pay- per-listen-Service nicht um eine „Sendung“, sondern um eine elektronische Lieferung handelt, also eine vollgültige Ware. Aber Piraten lauern an den Handelswegen der elektronischen Entgrenzung...

Im digitalen Bereich hat eine Show wie die Popkomm auch etwas von einem Krimi – es fehlt bloß der Kommissar, der den Fall kommerziell löst. Menschen ohne Besitz an Produktionsmitteln, schreibt der Wirtschaftstheoretiker John Kenneth Galbraith, „haben eine großartige Vorstellung von der Intelligenz derjenigen, die täglich wie selbstverständlich mit großen Geldsummen umgehen. Dieses ist ein ungewöhnlich irriger Glaube.“

Ein Besuch der Popkomm kann da angenehme Entmystifizierungseffekte bewirken. Thomas Groß