"Ich hätte den KPD-Verbotsantrag abgelehnt"

■ Vor 40 Jahren, am 17. August 1956, verkündete das Bundesverfassungsgericht das KPD-Verbot, das bis heute formell in Kraft ist. Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, über die

taz: Wenn Sie sich mit dem Wissen und dem Horizont von heute in die Situation im Jahre 1956 zurückversetzen und sich vorstellen, Sie hätten über den Antrag eines Parteiverbotes gegen die KPD- mitzuentscheiden gehabt...

Jutta Limbach: ...so hätte ich ihn abgelehnt. Damals beurteilte man die Gefährlichkeit der kommunistischen Partei aber vor dem Hintergrund der Politik der DDR und der Sowjetunion. Das erscheint mir bei einigem Geschichtssinn verständlich.

Obwohl der Grund eines Parteiverbots deren Angriff auf die demokratische Grundordnung sein muß und nicht die außenpolitische Lage der Republik?

In Deutschland hat sich in der Tat Außen- und Innenpolitik überlappt; denn der Eiserne Vorhang lief mitten durch unser Land. Die Bundesrepublik war beherrscht vom Antikommunismus. Dieser war kein bloßer Vorwand der damaligen Politik und Strafjustiz oder gar des Bundesverfassungsgerichts. Auch würde ich diese Haltung nicht – wie es heute vielfach geschieht – allein in der Gestalt Adenauers personifiziert sehen. Vielmehr sind die Sowjetunion und die Politik der SED in der DDR als gefährlich erlebt worden. Dieser Eindruck wurde immer wieder dadurch genährt, daß Deutsche aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen sind und unter dem Eindruck des dort Erlebten keinen anderen Wunsch hatten als den, sich gegen diese Kräfte zur Wehr zu setzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat es sich mit dem Verbotsurteil gegen die KPD recht schwer gemacht. Der Antrag seitens der Bundesregierung ging bereits im Jahre 1951 ein, die Entscheidung fiel erst 1956. Rund ein Jahr vor dem Urteil sprach der Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts noch einmal bei der Bundesregierung vor, ob diese tatsächlich an dem Antrag festhalten wolle.

Der Gang des Senatsvorsitzenden nach Bonn läßt vermuten, daß der Erste Senat selbst Skrupel hatte, diese Entscheidung zu treffen. Wir wissen zwar nicht, was die Richter seinerzeit zu diesem Schritt bewogen hat. Wahrscheinlich hielten es einige von ihnen für politisch klüger, die Auseinandersetzung mit einer verfassungsfeindlichen Partei dem freien Spiel der politischen Kräfte und den Wählern zu überlassen. Diese hatten bereits ein deutliches Wort gesprochen. Die Kommunisten der ersten Bundestagswahl hatten etwas über fünf Prozent, bei der Wahl 1953 erlangten sie nur noch zwei Prozent. Das warf die Frage auf, ob der Gebrauch dieses Instruments, des Parteiverbots, das eine Ultima ratio in einer auf Meinungsfreiheit basierenden Demokratie sein sollte, überhaupt noch verhältnismäßig ist.

Martin Niemöller sagte 1966 in seiner Funktion als Präsident des Weltkirchenrates zu dem Urteil: „Ich halte das KPD-Verbot für die mangelhafte Entwicklung eines demokratischen Klimas in der Bundesrepublik für wesentlich verantwortlich.“

Ich meine, daß das beklagte mangelnde demokratische Klima eher Resultat der politischen Strafjustiz als des KPD-Urteils gewesen ist. Dennoch verkenne ich nicht, daß das KPD-Urteil von 1956 die Strafjustiz gegen die Mitglieder und Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands im Nachhinein legitimiert hat. Aber gerade die kritische Auseinandersetzung mit dem KPD-Urteil und der politischen Strafjustiz hat zur Bildung eines demokratischen und rechtsstaatlichen Bewußtseins beigetragen.

Daß die Kritik an dem Urteil im Ergebnis auch demokratisches Bewußtsein gefördert haben mag, ist aber noch kein Argument für das Parteiverbot.

Gewiß nicht. Ein solches Urteil wie auch die Urteile der Strafgerichte sind kein Ausdruck einer besonderen demokratischen Souveränität. Die hat es auch seinerzeit in dem Maße, wie es uns jetzt nach einigen Krisen unseres Gemeinwesens eher eigen ist, nicht gegeben. Demokratie ist ein Prozeß, und wir haben ein demokratisches und rechtsstaatliches Bewußtsein erst entwickelt. In diesem Sinne hat das KPD-Urteil sehr wohl eine Rolle gespielt. Es hat eine fruchtbare Debatte ausgelöst: Würde man die Kommunisten mit einem Verbot nicht zu Märtyrern machen? Muß nicht eine Demokratie, für die die Meinungsfreiheit konstituierend ist, auf die Wähler vertrauen, anstatt mit einem Gerichtsurteil die politische Diskussion zu beenden?

Sind wir heute so weit?

Ich denke, das waren wir schon Ende der sechziger Jahre. Seinerzeit wollte der Bundesinnenminister, daß die DKP verboten würde. Das Kabinett der großen Koalition ist diesem Ansinnen nicht nachgekommen, weil es sich auf der politischen Bühne mit der Partei auseinandersetzen wollte.

Selbst die Bundesverfassungsrichter des Ersten Senats haben 1956 in ihr KPD-Urteil geschrieben: „Es sind freiheitlich-demokratische, für die Dauer geschaffene Verfassungen und eine Wirklichkeit denkbar, die die rechtliche Möglichkeit eines Parteiverbotes nicht kennen.“

Ja. Das Parteiverbot ist vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz aufgenommen worden. Es wird heute die Meinung vertreten, daß das Parteienverbot inzwischen obsolet geworden ist. Das bezweifle ich, obgleich oder gerade weil seit 40 Jahren kein Verbotsantrag mehr vor dem Gericht verhandelt worden ist. Das Grundgesetz hat die Ausschaltung verfassungsfeindlicher politischer Parteien an ein strenges justizförmiges Verfahren geknüpft. Und solange eine Partei nicht von unserem höchsten Gericht verboten worden ist, darf sie zwar politisch bekämpft, aber nicht in ihrer politischen Aktivität behindert werden.

Aber ist das nicht widersprüchlich? Sie halten das Parteiverbot deshalb für sinnvoll, weil die Interpretation, die es durch das Verfassungsgericht erhalten hat, im Ergebnis zu einem rechtsstaatlichen Umgang mit Parteien geführt hat?

Ich argumentiere in der Tat mit Nebenwirkungen des Parteiverbots und nicht mit seinem Gebrauch. Es handelt sich um eine durch unsere Verfassung verbürgte Toleranz: Solange eine Partei nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten ist, dürfen ihre Funktionäre ungehindert agieren.

Aber ist es nicht vielleicht doch genau anders? Solange es ein im Grundgesetz verankertes Parteiverbotsverfahren gibt, kann der politische Gegner damit drohen mit dem Ziel, das Spektrum der politischen Auseinandersetzung zu beschneiden.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Einer meiner Amtsvorgänger meint, daß Artikel 21 Grundgesetz immer noch als Damoklesschwert über den Parteien schwebt. Gleichwohl, wir sehen auch sonst, daß in politischen Auseinandersetzungen immer gern mit dem Gang nach Karlsruhe gedroht wird. Das gilt fast für jedes zwischen den politischen Interessen umstrittene Gesetz. Diese Drohung ist eine populäre Waffe im politischen Kampf.

Sehen Sie heute Auswirkungen des KPD-Verbots in dem Umgang der etablierten Parteien mit der PDS?

Ihre Frage verführt mich in die Niederungen des politischen Tageskampfes und zu einem Urteil über den Geschichtssinn seiner Protagonisten. Da schweigt der Richter in Bedachtsamkeit. Interview: Julia Albrecht