Pop komm raus...
: Der Interrail-Effekt

■ Die Nöte eines Popkorrespondenten

Es ist ein seltsam Ding um die sogenannten Hard facts: Manche sind so hart, daß sie im echten Leben praktisch unsichtbar werden. Hat man den Parcours der Popkomm nämlich erst einmal betreten, verflüchtigt sich die objektive Welt der Quoten, Hintergründe und Zuwachsraten auf der Stelle, und der schönste Impressionismus beginnt zu blühen. Das Subjekt sieht sich sozusagen geworfen in die Artenvielfalt des aktuellen Bestiariums, dem es nur mühsam mit ordnendem Verstand zu begegnen weiß. Alles fließt in Köln, der „swingenden Stadt“.

Konkret heißt das: Pack die Partyhose ein, steck den Gig Guide in die Tasche, und geh in den Club deiner Wahl. Begib dich aber nicht direkt dorthin, sondern akkreditiere dich zunächst am dafür vorgesehenen Schalter, laß dein Konterfei elektronisch einscannen in den plastikverschweißten, zugangeröffnenden Popkomm-Paß, krieg einen Schreck (Huch, das soll ich sein?!), und studiere das Angebot. Auf Nummer Sicher gehen und den „Urban Groove 96“ heimsuchen, mit TripHop-Tricky und anderen? Viel zu naheliegend. „Schulmädchenreport – Das Original“ mit „diversen Überraschungen“, präsentiert von Booby Trap, Verstärker und Crippled Dick Hot Wax? Muß nicht sein. Die Coolen Säue in der Live Music Hall? Ich hasse witzige Namen. Anti Nowhere League, Daily Terror? Annihilator? Kreidler, Atomopel, Superbilk, Dödelhaie, Phuture 303, God's Favourite Dog, Nightmares On Wax, Kruder & Dorfmeister? Eventuell eine Band, die sich „Kante“ nennt?

Das Problem des noch unerfundenen Körperzappings wurde bereits im letzten Jahr aufgeworfen, doch ohnehin kommt es mehr auf den Interrail-Effekt an: Man könnte die ganze Palette abgrasen, wäre man radikal genug, me, myself and I zu sein. Bewege deinen Arsch, the rest will follow.

Wer konventioneller strukturiert ist oder eine schwere Kindheit hatte, darf immerhin am Fluidum der versammelten Aufgebrezeltheit partizipieren. Nils Bokelberg ins Gesicht sehen. Robbie Williams, den Skandalmann von Take That, erleben. Lieder der Nacht, für uns gemacht: Der Glamour der Popkomm entfaltet sich im Freigehege der bespielten Stadt. Auch ist es in der Regel einfach, beim Kölsch Gespräche mit Herrn und Frau Nachbar über Popfragen zu beginnen – reiche karnevalistische Erfahrung der Einheimischen mag hier ein Übriges tun. Claudia G., Organisatorin, macht Scherze über die Ignoranz der lokalen Schildermaler, die „Popkomm – Der Kongreß“ mit „C“ schreiben. „Aber darauf stellen wir uns mittlerweile ein, machen halt frühzeitig die Kontrollen und ändern dann noch drei Tage lang, machen hier noch ein L hin und da noch ein K – da haben wir alle großen Spaß dran.“ So ist Köln! One City under a groove. Es hat auch was Drückendes. Frei nach Siegfried Kracauer: In der Popkomm erkennt der Pop sein Potential, an dessen nicht eventgebundener Realisierung ihn die Popkomm hindert.

Zuletzt und nach Mitternacht läuft der Club-Hopping-Abend für unsereinen natürlich doch wieder auf die Spex-Party hinaus, weniger weil hier die Definitionsmacht versammelt wäre – die Zeiten sind vorbei –, und auch nicht, weil die Bands so exquisit sind, sondern weil der Flurfunk des Popdorfes hier noch am besten funktioniert.

Ein weiteres Mal lösen sich die Hard facts der „Fachmesse“ sich nebelnd auf, diesmal in den anekdotischen Flickenteppich, den Popjournalisten aus mancher Welt sich nächtens als Schmusedecke über die Schultern zu werfen pflegen.

„Komm. Unity“ nennt sich der Konzertpark der Popkomm in diesem Jahr, in Anlehnung an den meist unter Druck von außen entstandenen Zusammenhalt ethnischer Minderheiten und religiöser Gruppierungen in den großen Städten. Vom ideologiekritischen Standpunkt her ist das natürlich stark zu hinterfragen, wir prangern das geradezu an, aber es ist auch was Wahres dran. Wenn man am Ende unter dem Einfluß handelsüblicher Drogen nach hinten kippt, tut man das in dem Restbewußtsein, doch irgendwie Teil der Branche zu sein. Thomas „Soft facts“ Groß