Blindfische im Haifischbecken

■ Der Abstieg des FC St. Pauli steht für viele schon fest, noch ehe heute gegen die Bayern der Anstoß zur neuen Saison erfolgt ist. „Es wird sehr schwierig für uns“, sagt auch Trainer Maslo

Das Präsidentenwort stand gewaltig im Raum, bevor es langsam verhallte: „Wir holen keine Blindfische, sondern Nationalspieler.“ Heinz Weisener, Patriarch des FC St. Pauli, versprach seinen Anhängern überschwenglich Qualität für die neue Spielserie. Trainer Uli Maslo hörte die Versprechungen mit Wohlgefallen und schritt zur Realisierung. Großen Worten sollten adäquate Taten folgen. Intensiv durchforstete der 58jährige die Spielermärkte. Vor allem in Norwegen und Tunesien vermutete Maslo die preiswerten Elitekicker, die den FC zu ungekannten Gipfeln führen sollten. Maslo bekam nicht viel zu sehen.

Lediglich in Oslo fiel ihm ein brillanter, dunkelhaariger Mittelfeldspieler auf – der ehemalige St.-Paulianer Andreas Mayer, den er eigenhändig aussortiert hatte. Spötter behaupten, daß Mayer vom Fleck weg verpflichtet worden wäre, hätte dieser sich nur mit einer blonden Perücke als Skandinavier getarnt. In Tunesien sichtete Maslo Adel Sellimi, der „von der Mentalität her nach Deutschland“ paßt, wie der wüstenerfahrene Trainer schnell erkannt hatte. Das Anforderungsprofil erfüllte der Stürmer: Nationalspieler, willig und billig. „Verpflichten!“, signalisierte er seinem Präsidium.

Zum Trainingsauftakt sollten die Hochkaräter präsentiert werden. Die Fangemeinde war hoffnungsfroh, als sich ein roter Porsche näherte. Allein: Dem Gefährt entstieg Abwehrspieler Dieter Schlindwein. Die Freude wich schnell Ernüchterung, denn zum Hoffnungsträger eignet sich der ausgemusterte Eisen-Dieter partout nicht.

Neue Gesichter gab es dennoch zu bestaunen: Die Vertragsamateure Bernd Eigner und Demir Duric durften mittun. Als „Blindfische“ gelten die Neuen nicht, auch nicht der ausgeliehene Brasilianer Luis Firminho Emerson. Maslo nennt sie „Ergänzungsspieler“. Aber wo waren die Nationalspieler? Wann kommt Sellimi? Vielleicht einmal zu einem Freundschaftsspiel, wenn der FC Nantes am Millerntor gastieren sollte: Der 23jährige gab St. Pauli einen Korb und unterschrieb lieber in Frankreich.

Kein Wunder und kein Einzelfall, lag doch der FC weitgehend brach, als der Spion Maslo in der Sommerpause auf Achse war. Der Trainer fehlte und anscheinend auch dessen harte Hand. Einen selbstherrlich-autoritären Umgangston pflegt Maslo: Wer nicht spurt, hat verloren. Maslo komme daher, als sei er Gott persönlich, kritisiert das auflagenstärkste St.-Pauli-Fanzine Der Übersteiger.

Die Personalpolitik des Sonnenkönigs von der Reeperbahn ist immer wieder Anlaß für Unstimmigkeiten und Heiterkeit: In einsamen Entscheidungsprozessen zauberte er vergangene Serie den Albaner Hysen Zmijani und den US-Kicker Paul Caligiuri aus dem Hut: Beide Nationalspieler, aber nicht bundesliga-tauglich und von Maslo am Ende abserviert. „Blindfische“, würde Präsident Weisener wohl dazu sagen.

Der älteste Bundesliga-Trainer, der mit seiner Pädagogik der Altvorderen so wenig zum Klub mit dem linksliberalen Image paßt, taugt nicht zum Visionär. Maslo verkörpert keinen Aufbruch, sondern Rückschritt. Den sportlichen Niedergang sagen viele jetzt schon voraus. Ein Verein, bei dem so wenig funktioniere, müsse sich selbst vor den Aufsteigern fürchten. „Das zweite Jahr ist immer besonders schwierig“, bemüht Maslo Binsenweisheiten. Der in der Winterpause scheidende Vizepräsident Christian Hinzpeter nimmt es gelassener: „Wir sind doch immer der Absteiger Nummer eins. Die Superschlauen sollen ruhig wieder Wetten auf uns abschließen.“

Viel mehr Kummer als die Prognosen der unzähligen Fußballweisen bereitet Hinzpeter der Boykott der St.-Pauli-Spiele im Volkspark, den viele Fans durchziehen wollen. Vier Begegnungen trägt der FC in der verhaßten HSV-Betonschüssel aus. Aus finanziellen Gründen, wie Hinzpeter versichert. Durch die erhöhten Beiträge der Berufsgenossenschaft entstünde dem Klub ein Finanzloch von rund drei Millionen Mark, das nur durch den Umzug in die Volkspark-Arena gedeckt werden könne. „Sonst sind wir weg vom Fenster.“

Die vor kurzem ins Leben gerufene „Arbeitsgemeinschaft interessierter MitgliederInnen“ (AGiM) kritisiert vehement die Schaukelpolitik: Jedes Jahr werde erst zugesichert, alle Heimspiele am Millerntor auszutragen, und dann regelmäßig das Versprechen gebrochen. Zudem: Die Diskussion darüber führe das Präsidium hinter verschlossenen Türen. Da entsteht leicht der Verdacht, den auf Selbstbestimmung pochenden Fans komme nur noch eine folkloristische Komponente zu.

Abhilfe soll der im Schnellverfahren verpflichtete, volksnahe Helmut Schulte als Manager schaffen. Dem zum Heilsbringer auserkorene Langen, der als Trainer am Millerntor Ende der 80er Jahre eifrig am Mythos des anderen Fußball-Klubs mitgestrickt hatte, wird es am ehesten zugetraut, die kritische Fanklientel zu besänftigen. Zusätzlich richtet das Präsidium als Kompromißlösung für die unzufriedenen Fans – einmalig in der Geschichte der Bundesliga – eine zweigeteilte Dauerkarte ein: Entweder mit oder ohne die Spiele im Volkspark.

Das Novum wurde vom Präsidium nur mit großen Bauchschmerzen befürwortet. Die Unbill der „renitenten Fans“ gefährdet laut Hinzpeter nicht nur die Konsolidierung des Klubs. Fatal wähnt er die Tatsache, daß Heinz Weisener aufgrund der Querelen erste Anzeichen von Amtsmüdigkeit zeigt. „Ohne ihn verbringen wir die Zukunft da, wo sie niemand verbringen will.“ Nicht mehr im geliebten Haifischbecken Bundesliga, sondern im seichten Tümpel – bei den Blindfischen. Rainer Schäfer

siehe auch Leibesübungen