Im Kaffeesatz der Trends

■ Morgen eröffnet die Popkomm 96. Viel Anbieter, wenig Übersicht auf der Kölner Fachmesse für Entertainment. Das Leben verpoppt, aber der Markt stagniert

Es gibt natürlich die sogenannten Hard facts: 13.000 bis 14.000 Fachbesucher werden auf der diesjährigen Popkomm, der Kölner „Messe für Popmusik und Entertainment“, erwartet, das sind mindestens 2.000 mehr als im Vorjahr. Gebongt. Sollerfüllende Zuwächse auch bei der Ausstellungsfläche von 22.000 Quadratmeter (plus 4.000) und der Anzahl der mit Stand vertretenen Firmen (plus 50 auf 635). Ganz abgesehen von den rund 350 Bands, die von heute bis Sonntag so gut wie alle Kölner Clubs bespielen werden, vom E-Werk (gibt es mittlerweile in jeder besseren Stadt) bis hin zu malerischen Überbleibseln der Kölner Modernisierung wie dem Ex-Stripteaseclub „Tingeltangel“. Unterm Strich reicht das in jedem Fall, um den Spitzenplatz als weltgrößte Popmesse vor der Midem in Cannes zu behaupten; die unlängst abgenippelten Freiburger „EuroPopDays“ stellten ohnehin nie eine ernsthafte Konkurrenz dar.

Doch abgesehen von solchen technischen Daten und Positionsbehauptungen ist die neueste Unübersichtlichkeit groß. Ein identity-stiftendes, steil in die Zukunft ragendes Motto wie noch in der ersten Hälfte der Neunziger („Kreativität“, „Multimedia“ u.ä.) ist offenbar nicht mehr zu haben, auch stagniert das Geschäft mit der CD erstmals (mehr dazu in der Kolumne morgen); mit Dieter Gornys Wechsel zu Viva ist schon im vorletzten Jahr einer der letzten großen Popularvisionäre und Ankermänner dahingegangen – die Führung ruht jetzt in den Händen freundlich-pragmatischer, aber deutlich blasserer Figuren wie Uli Großmaas und Ralf Plaschke. „Das Fehlen eines einheitlichen Mottos“, so letzterer, „hat natürlich mit dem vielbeschriebenen Phänomen zu tun, daß man es auf dem Markt mit immer feineren Aufsplitterungen zu tun hat. Die Thematik ,Musik‘ setzt sich in den neuen Medien und der Informationsgesellschaft generell an immer kleinteiligeren Fronten fort.“

Konkret heißt das: Musik ist im Internet ebenso wie im Fitneßstudio, die Branchen wuchern zusammen; das ganze Leben ist Unterhaltung, das aber auf immer schwerer zu kontrollierende, also auch zu verwertende Weise. Auf diese unter dem Stichwort „Diversifizierung“ zusammengefaßte Entwicklung reagiert die 96er Popkomm, indem sie sich noch stärker, gemäß dem im vergangenen Jahr ins Warenzeichen aufgenommenen Zusatz, als Branchenmesse „für Entertainment“ inszeniert. Ein Vortrag behandelt Fragen des „International Standard Recording Code“ (IRSC), eine Art elektronisches Brandzeichen des Musikeigentümers und „Key to the exploitation of music in the digital age“, ein anderer verspricht Hard facts hinsichtlich der Übertragungsfähigkeit von Musik im Internet. Der Ausländeranteil unter den Ausstellern konnte entsprechend der Multinationalität der Konzerne auf erfreuliche 41 Prozent gesteigert werden, ein musikalischer Schwerpunkt verspricht Neues aus Japan. Im Sinne eines erweiterten Popbegriffs sollten auch Daniel Cohn-Bendit und Antje Vollmer zur Branche sprechen, sagten aber kurzfristig ab.

Zu den vielen Anbietern, die zur Popkomm kommen, „um ein Interesse voranzubringen, das nicht ursächlich mit Musik zu tun hat“ (Plaschke), gehört in diesem Jahr dagegen erstmals der Spiegel, vertreten durch eine eigene Bude und die Leitung einer Diskussion: „Wie deutsch kann Pop sein?“ (Zur Frage der Quotierung deutschsprachiger Rockmusik in Funk und Fernsehen – auch dazu Näheres morgen). Eher noch weiter auf dem Rückzug scheint dagegen die klassische Subkultur zu sein. Der DJ, im letzten Jahr ausgiebig als neuer Gesamtkünstler und quasi Renaissancemensch gefeiert, ist 96 klar over the top und wird sich diverse Demystifizierungen als Vorreiter eines neuen Mittelstands gefallen lassen müssen. „Nachdem neuerdings selbst das FAZ-Magazin Sven Väth aufs Cover setzte, wird es Zeit für eine neue Standortbestimmung“, heißt es in der Ankündigung.

Mit dem „Standort“ ist es allerdings heute so eine Sache, und selbst ein die Popkomm abschließender „Blick in den Kaffesatz der Trends“ mit „ausgewiesenen Szenekennern“ wird sich offenbar nurmehr als ironische Inszenierung hervortrauen: Wim-Thoelke- artige Showkabinen sollen geplant sein, mit Glaskuppeln, in denen die Kandidaten ihre Voraussagen treffen – Opas Cyberspace gegen allzuviel Riiiiisiko.

Subkulturelles Pathos hat wenig Chancen. Romantiker mit Attitude scheint es nur noch im Internet zu geben, wo junge Computerbesitzer unter der Adresse „popkomm 6 musikkomm.de“ vorab die Chance ergriffen, mit einem „Surf Du Jour“ vertreten zu sein: „...und ohne hinter sich zu schauen, schwang er sich auf sein Keyboard und surfte in das kitschige Rotorange des Sonnenuntergangs. Euer (toka) ,The lonely surfer‘“. Thomas Groß

(nach Diktat verreist)

Ab morgen wieder die tägliche taz- Kolumne von der Popkomm