„Die Kitagebühren sind steil gestiegen“

■ Seit Anfang August gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Gabriele Heitmann, Schleswig-Holsteins Kinderbeauftragte, weiß, warum Eltern den Anspruch nicht einklagen

taz: Schleswig-Holstein ist das Land, in dem am meisten Plätze fehlen. Es kann nur 61 Prozent der Kinder versorgen. Wie viele Eltern, die keinen Platz für ihr Kind bekommen haben, sind vor Gericht gezogen?

Gabriele Heitmann: Mir ist in Schleswig-Holstein keine Klage bekannt, obwohl wir auch hier im Kreis nicht genügend Plätze haben. Dabei hat der Kreiselternrat sogar öffentlich auf die Klagemöglichkeit aufmerksam gemacht.

Wie viele Kitaplätze fehlen denn in Ihrem Landkreis?

Wir haben bei uns in Stormarn 7.013 anspruchsberechtigte Kinder. Am 1. August fehlten für 1.232 von ihnen Plätze. Es sind zwar Kindergärten im Bau, aber trotzdem werden wir selbst zum 1.1.1999, wenn der volle Rechtsanspruch gilt, noch ein Defizit von 468 Plätzen haben.

Und wo sind die 1.232 Kinder geblieben, die keinen Platz haben?

Die Eltern versuchen sich mit Oma, Opa oder Tagesmüttern über die Runden zu helfen. Viele machen das auch in Form von Nachbarschaftshilfe. Eine Menge Frauen betreuen nebenher das Kind von der Nachbarin mit. Offenbar sind die Eltern hier nicht so klagefreudig.

Wo könnten Eltern einen Kita- platz einklagen?

Beim Landkreis. Die Gemeinden sind zwar verpflichtet, Kindertagesstätten zu bauen, aber gewährleisten muß das der Kreis, der die Gemeinden dann in die Pflicht nehmen muß.

Bekämen die Eltern dann Schadensersatz?

Juristen sehen das so. Aber ich denke, kein Jugendamt wird es soweit kommen lassen. Der Kreis würde schon sehen, daß er im Fall einer Klage einen Platz schafft. Er kann ja die Gruppenzahl bis auf 25 Kinder erhöhen. Vor dem Gesetz lag die Grenze bei 18 Kindern.

Viele Gemeinden haben schon bei der Zahl der Plätze getrickst. Auch bei Ihnen?

Ja. Eigentlich müßten die Kinder in den Nachmittagsgruppen als nicht versorgt gelten. Denn fast alle Mütter wollen ihre Kinder auch vormittags in die Kita geben. Nur dann könnten sie arbeiten gehen. Aber es wird immer wieder behauptet, der Rechtsanspruch würde sich nur auf einen Vier-stundenplatz erstrecken. Dabei sagen juristische Gutachten, daß ein Sechsstundenplatz garantiert werden muß.

Lassen sich viele Eltern auf die Halbtagsversorgung ein?

Ja. Allerdings haben wir festgestellt, daß dort, wo die Eltern sechs Stunden Betreuung verlangt haben, diese auch gewährt wurde. Da wußten die Gemeinden natürlich, wenns hart auf hart kommt, kommen wir damit nicht durch.

Warum ist die Nachfrage nicht wie erwartet hoch?

Die Gemeinden blockieren die Nachfrage vor allem über den Preis. Bei uns sind die Kitagebühren steil angestiegen, seit der Rechtsanspruch bekannt wurde. Ich kenne Mütter, die aufgehört haben zu arbeiten, vor allem die mit mehr als einem Kind im Kindergartenalter. Sie sagen, daß es sich einfach nicht mehr lohnt, arbeiten zu gehen.

Wieviel kostet ein Kitaplatz?

Der teuerste Halbtagsplatz kostet hier im Monat 360 Mark, und das für viereinhalb Stunden.

Wer ist für die verzögerte Kita- versorgung verantwortlich?

Der Bund hat dieses Gesetz ja nur deshalb gemacht, weil er sein Abtreibungsrecht durchsetzen wollte. Und die Städte und Gemeinden haben von Anfang an gesagt, wir sehen überhaupt nicht ein, daß wir das Geld beschaffen sollen. Besonders Schleswig-Holstein hat darüber geklagt, daß der Bund kein Geld bereitgestellt hat. Man muß wohl sagen: Im Grunde genommen hat niemand die Kita- versorgung wirklich gewollt. Weder der Bund noch die Länder und Gemeinden. Interview: Karin Gabbert