■ England: Debatte um Abtreibung eines Zwillings
: Ungutes Gefühl

Vielleicht weil es an Selektion erinnert, provoziert die Abtreibung eines Zwillings andere Emotionen als die Abtreibung eines einzigen Embryos oder die Beseitigung künstlich befruchteter Eizellen. Regelfall bei Reagenzglasbefruchtungen ist, daß der Frau rund vier befruchtete Eizellen eingepflanzt werden. Nisten sich von diesen mehrere ein, werden die anderen beseitigt. Problematisch? Wohl kaum. Wenn man grundsätzlich die künstliche Befruchtung akzeptiert, so ist es im gleichen Atemzug akzeptabel, daß man den Eingriff auch künstlich zu Ende führt und nur eine befruchtete Eizelle übrigläßt. Wenn man darüber hinaus den Gedanken mitmacht, daß es keinen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen einer künstlichen und einer „natürlichen“ Befruchtung, dann ist die Abtreibung eines von zwei Embryonen unproblematisch.

Und doch: Letzterer Fall einer jungen englischen Frau, die aufgrund einer „natürlichen“ Befruchtung mit Zwillingen schwanger war, von denen sie eines abtreiben ließ, erzeugt andere Überlegungen und Emotionen. So schreibt der nun wirklich nicht als Abtreibungsgegner bekannte Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung: „Wie wird der überlebende Zwilling damit leben, daß der andere abgetrieben wurde und er sein Leben nur einem Zufall verdankt?“ Das gleiche würde Prantl aber nicht bei „normalen“ Abtreibungen schreiben. Denn auch hier ließe sich ja fragen: Wie geht die Tochter damit um, wenn die Mutter ihr erzählt, daß sie bei anderen Schwangerschaften abgetrieben habe. In diesem Sinne weiterargumentiert, stärken wir ganz schnell jenen den Rücken, die sich aus vermeintlicher Nächstenliebe gegen jeden Eingriff wenden.

Das ungute Gefühl hängt damit zusammen, daß uns bei Abtreibungen von einem Zwilling oder von behinderten Kindern die unendlichen Möglichkeiten von Manipulationen und der Gedanke von Selektionen ins Auge springen, während wir bei den „normalen“ Abtreibungen das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Vordergrund stellen. Grundsätzlich läßt sich sagen: Wenn man das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten will, dann muß man auch solche Sonderfälle wie die Abtreibung eines Zwillings akzeptieren, auch wenn das ungute Gefühl und die Frage offenbleibt, wie weit wir manipulieren dürfen. Julia Albrecht