So also sieht ein Schläger aus

Er hat die zerschlissenen orangefarbenen Sessel so gesetzt, daß man einen bequemen Blick in den Garten hat. Mit einem Lächeln serviert Gerry den Kaffee, stellt neben jede Tasse einen Aschenbecher. Ein freundlicher, unauffälliger junger Mann. Zwanzig Jahre, mittelgroß, schlank, blaue Jeans, grüne Augen. Er ist verurteilt zu zehn Monaten Jugendhaft, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung wegen wiederholter schwerer Körperverletzung. So also sieht ein Schläger aus. Einer, der sich einen Spaß daraus macht, mit seinen Freunden zum Beispiel auf Campingplätzen Randale zu veranstalten.

Die Jugendrichter haben Gerrys Bewährung mit Auflagen belegt. Jeden Donnerstag fährt er in die Kreisstadt Stendal zum „Sozialen Training“. Eine Jugendpsychologin leitet die Gesprächsgruppe. Die Jungmänner reden über Aids und ihre Schlägernaturen. Für Gerry sind diese Gespräche nichts als lästige Pflicht. Geholfen hätten sie wenig, sagt er. Daraus mitgenommen hat er Versatzstücke aus der Sozialarbeitersprache. Den zweiten Teil seiner Bewährungsauflage erfüllt Gerry in einer Behindertenwerkstatt, dort tütet er Schrauben ein – 300 Stunden soll er arbeiten.

Gerry tönt hart und abgebrüht. Sei er aber gar nicht, sagt seine Mutter. Und sie zählt auf: jeden Tag fahre er sie zum Arzt, seinem Chinchilla habe er ein Grab ausgehoben, dem Vater helfe er in der Holzwerkstatt, zu seinen Freundinnen sei er zärtlich. Gerry könne ganz weich und höflich sein. Bestimmt.

Die Angst habe seinen Sohn kalt gemacht, sagt der Vater. Es habe begonnen, als er vor vier Jahren am See verprügelt wurde. Das sei keine einmalige Abreibung gewesen wegen der schwarzen Klamotten und der „Sieg Heil!“-Brüllerei. Das wäre weiter gegangen. Der Sohn hätte sich nicht mehr allein zur Berufsschule getraut; den Weg mußten sie jeden Morgen und Mittag mit dem Auto machen.

Gerrys Feinde lauerten überall. Mehrmals schlugen sie ihm die Augen blau, drückten Zigarettenstummel auf seinen Armen aus und forderten Geld von ihm. Tagelang habe der Junge vor dem Wohnzimmerfenster gestanden und gezittert, erinnert sich der Vater. Einmal ist er nach Dänemark abgehauen, ein anderes Mal suchte Gerry Schutz beim Neonaziführer Meinolf Schönborn. Drei Tage blieb er in dessen Haus in Piwittsheide. Dann wurde ihm das Ausführen der Hunde zu blöd.

Gerry zog es wieder in sein Dorf. Es liegt an der „Traumstraße der Romantik“, 120 Kilometer westlich von Berlin, hat 700 Einwohner und mehrere Seen. Leute aus Berlin verbringen ihre Ferien gerne in der ländlichen Idylle.

Foto: Theo Heimann/Xpress