■ Scheibengericht
: Palzer u.a.

Nachmittag eines Fauns (Trikont)

These boots are made for talking: Wie viele Straßen ein Mann in den Stiefeln hinuntergegangen sein mag, die das Cover von „Nachmittag eines Fauns“ schmücken, weiß wahrscheinlich noch nicht einmal Thomas Palzer, aber er versteht genug von der Mythologie des Gehens, des Kinos und überhaupt der Tagedieberei, um seine Worte ihrem Rhythmus anzuvertrauen: „nichts schöner als den Tag zu vergeigen. / Bube, Dame, As und Zehn. / Das Leben draußen wird dich wiedersehn./Doch erst noch eine Pfeife / – wer Muße hat zu kneifen / der küsse die Muse und kneife.“

Das ist abgelegtes Zeugnis einer Vita contemplativa, den Apparaten der Sinnumwälzung abgerungen, ohne ihnen loserisch den Rücken zu kehren. Palzer, der sich hier den Traum einer Platte mit „Chansons“ (Untertitel) erfüllt hat, ist seit mehr als 15 Jahren Rundfunkautor, als Mitarbeiter der Zeitschrift „Mode & Verzweiflung“ war er Teil des Münchner Zitat- Pop der Achtziger; neben autobiographisch-essayistischen Miniaturen (zum Beispiel „Ab hier FKK erlaubt“, Beck'sche Reihe) hat er einen kleinen Roman geschrieben („Pony“, im Augsburger Bommas Verlag), und wer an Sonntagabenden den ARD-Kulturreport mal gar nicht so übel fand, konnte darauf wetten, gerade einen Palzer- Beitrag gesehen zu haben – der Autor als Produzent beliefert den Apparat, aber er verändert ihn auch nach Maßgabe des Möglichen.

Zu einem gewissen Grad auf du und du mit seinem inneren Relais muß er dafür natürlich schon stehen. Ohne den Verteilerkreislauf Kneipe, das Anzapfen von FSKs Michaela Melián (Artwork), Franz Dobler (Liner Notes), Karl Bruckmaier (Produktion), James Scannel / Stefan Wood (diskrete Liedbegleitung) und Achim Bergmann (verlegt's bei Trikont) hätte ein randständiges Werk wie der „Nachmittag eines Fauns“ es wohl kaum auf Platte geschafft – in München daheim scheint man sich ganz gut zu kennen. Die 17 sparsam arrangierten Songgedichte erzählen aber auch von einem Nord- Süd-Gefälle des deutschen Poparbeitertums, einer Demarkationslinie, die den preußisch-hanseatischen Norden vom eher barocken Süden trennt. Palzer hat es mit der „Wunde der Tat“, das Schweigen ist ihm „klösterlich“ und „dunkel die Stunde, die naht“. Die Zeit macht nur vor dem Teufel halt, und wenn der Katholizismus noch nicht gestorben ist, singt Palzer ihm hier ein paar meßdienerische Nachtgedanken hinterher.

Süden ist aber auch Vaudeville, Sumpffieber und Alabama-lama-l00. In einem Song wie „Windjammer Jam“ ist das Murmeln der Fürbitten in das Call & Response- Schema von Gospel und Blues übergegangen, und von da aus darf noch einmal etwas Ritual in das vorausgesetzte Reich der Zeichen eindringen. Palzer, der „Glückspilz ohne Glück“ und gebürtige Pfälzer, ist ein Bluesman von eigenen Gnaden, ein Eigenbrötler und Selberdenker, der auf bewundernswerte Weise die drohende Blamage nicht scheut. Das schafft viel Raum. Es führt eine Spur hin zu Nick Cave, eine andere zu (schon wieder) Lou Reed, eine dritte zu Leonard Cohen, dessen „Marita“- Gedicht („Marita, please find me, I'm almost thirty!“) Palzer auf die eigenen Verhältnisse übertragen hat. Der Wind heult bitterlich Marie. Oder Angela. Nichts Neues im Westen der Utopie, aber „ich ziehe störrisch meine Bahn ... Erstatte meinem Logbuch Bericht“.

„Chansons“? Warum nicht auch das. Dem ganz leicht päderastischen Wunsch, jedes dieser Lieder sei den minderjährigen Mädchen ein den Eltern verheimlichter Freund, ist schon formatbedingt keine allzugroße Schnitte einzuräumen, aber Palzer, der sich in der Kindheit als ersten Serge Gainsbourg im elterlichen Wohnblock sah, kostet den Kelch immerhin zur Neige, wenn er in „RealitätsprinzipII“ spricht: „Gib dir die Welt / oder gib dir den Strick / nimm den Schierling / den man dir gibt /lösch den Durst ...“

Als Kompliment bitte ich zu betrachten, daß mir in diesem Problemzusammenhang noch ein populärer Dreizeiler eingefallen ist, den ich einmal als Werbeaufschrift an einer (mittlerweile auch abgeschafften) Kölner Imbißbude gesehen habe: „Hast du Hunger oder Durst / geh zu Willy, iß 'ne Wurst / und lösch den Durst“.