Der Wald steht inmitten des Freihafens

■ Theater N.N. inszeniert in der Speicherstadt Shakespeares Ein Sommernachtstraum

Es ist ein Ausflug in die lauen Lüfte einer Sommernacht unter freiem Himmel, abseits der Stadt, der sittlichen Gepflogenheiten der Zivilisation, der alles in Bewegung bringt. Es ist das Atmen der Bäume unter dem Sternenhimmel, das alles durcheinanderwirft: William Shakespeares 1595 uraufgeführte Schein-Leichtigkeit Ein Sommer-nachtstraum ist eine Ode an die Macht der Sommernacht.

In steifen Stadttheater-Inszenierungen ist diesem Stoff mit seiner seltsamen Traumstruktur, den vielen verwobenen Handlungsfäden und Auftritten von Geistern und Phantasiegestalten kaum beizukommen. Hier ist Außergewöhnliches gefragt, ein entschiedenes Aufbrechen der üblichen Besetzungen – oder aber ein Verlegen in die blaue Sommernacht selbst. Und wenn es keinen Spielort mit Baumbestand gibt, dann eben im Freihafen. Hier ist zwar kein Grün zu sehen, dafür aber das Glucksen des Wassers zu hören.

Hier will Regisseur Dieter Seidel mit seinem Theater N.N. auf der Freiluftbühne, über die im ersten Teil des Abends der Hamburger Jedermann irrt, Shakespeares Stück um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Liebe zeigen. Seine Truppe ist ein Haufen von 14 jungen Schauspielern, Tänzern und Sängern, die noch frisch im Geschäft sind. Der Wahl-Hamburger Seidel, der sich als Regisseur ent-blößtes Theater wünscht und die Reduzierung auf das Wesentliche, der auch Shakespeare frönte, hat viele von ihnen bis vor kurzem noch als Lehrer unterrichtet.

Es sind die Beziehungsgeflechte, die die Bühne füllen. Alles beginnt am Verlobungstag von König Theseus und der von ihm besiegten Amazonenkönigin Hippolyta. Ausgerechnet an diesem Tag will der alte Egeus, daß seine Tochter Hermia mit dem Tod bestraft wird, weil sie sich weigert, den von ihm ausgesuchten Demetrius zu ehelichen, und lieber Lysander liebt. Vor dem wutschnaubenden Vater fliehen Hermia und Lysander in den Wald, gefolgt von Helena, die ihrerseits Demetrius liebt.

Im Wald wartet allerdings nicht die romantische Ruhe liebevoller Verklärung auf die Flüchtigen, sondern ein Elfenkrieg, in den auch die Handwerker geraten, die im Wald ein Stück für die Verlobung von König Theseus einstudieren wollten. Als Anstifter mittendrin: Puck, der anarchische Gnom, der am liebsten Chaos baut.

In Doppelrollen spielen die Ak-teure mal Menschen, mal Feengestalten, junge Verliebte oder aber auch ältere Handwerker. Mit dabei: Kai Ramczyk (als Theseus und Elfenkönig Oberon), Yvonne Werner-Mees (als Hippolyta und Titania), aber auch Thomas Griess, Jens Kraßnig, Stephan Monzel, Vivien Schnepel, Christine Hatzenbühler, Patricia Weinkopf und viele andere.

Im Hamburger Freihafen ist ja die Republik verlassen. Vielleicht gibt es in der Hansestadt keinen besseren Ort zum Überschreiten von Grenzen. Wir müssen nur noch warten, bis es dunkel wird, dann ist es soweit: Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Nachtwelt zerrinnen, und die Menschen haben plötzlich Eselsköpfe und träumen Zettels Traum.

Thomas Plaichinger

Fr und Sa, 2. und 3. August, 23 Uhr, Speicherstadt