Rock'n'Trauerarbeit

■ Ein unsentimentales Comeback aus traurigem Anlaß: Die 70er-Ikone Patti Smith geht nach dem Tod ihres Ehemannes und ihres Bruders wieder auf Tour

Beim letzten Konzert ihrer Band, 1979 vor 70 000 Menschen im Fußballstadion von Florenz, hatte Patti Smith zu einer langen Piano-Improvisation eine Grußadresse des Papstes einspielen und am Ende der Show eine monumentale US-Flagge hissen lassen. Das Publikum empfand das als Provokation, stürmte die Bühne und nahm die Instrumente in Besitz. Die Extremste aller 70er-Performerinnen, die schon seit geraumer Zeit das Ende ihres Daseins als Star beschlossen hatte, teilte ihren Musikern danach mit, daß die Band nicht mehr existiere.

Wenig später wurde der Ausdruck „to patti smith“ in der New Yorker Postpunk-Szene zum Synonym für einen Ausstieg, der die Kluft zwischen künstlerischer Integrität und den Ansprüchen der Fanmassen durch strategischen Rückzug endgültig beseitigte. Deborah Harry, die zeitgleich mit Patti den Sprung vom NYC-Szene-Underdog zum Weltstar erfahren hatte, sollte mit ihrer Band Blondie noch ein paar Disco-Wave-Platten zuviel machen.

Patti Smith blieb das erspart. „Sie wollte nicht ihr eigener Oldie-Act werden“, sagte ihr Gitarrist Lenny Kaye zu diesem frühen Abschied, „wir wollten nicht erwachsen und eine menschliche Jukebox werden.“ James Grauerholz, Manager des von Patti Smith verehrten William Burroughs, nannte ihren Abschied einen „Rock'n'Roll-Tod, ohne sterben zu müssen“.

Fünfzehn Jahre später sollte der Tod sie tatsächlich einholen, um eine weitere Zäsur in ihrem Leben zu bilden, die nicht zuletzt dafür verantwortlich sein dürfte, daß sie in diesem Jahr zum ersten Mal seit ihrem Ausstieg wieder auf Tour geht: Am 4. November 1994 starb ihr Mann Fred Sonic Smith, seinerzeit Gitarrist der legendären Detroiter Band MC5. Einen Monat danach erlag ihr Bruder Todd, der Roadie für die Patti Smith Group gewesen war, einer Herzattacke.

An ihrem Comeback-Album Gone Again hatten Patti und Fred noch gemeinsam gearbeitet. Das Titelstück und das hochintensive „Summer Cannibals“ bilden denn auch als die beiden Uptempo-Nummern die einzigen Kompositionen, die nicht unmittelbar oder in Metaphern Trauerarbeit leisten. Und Trauerarbeit heißt hier nicht ausgestellte Intimität, denn Patti Smith gehört zu jener seltenen Spezies von Rockstar, die in der Lage ist, die lyrische Anrede „thy“ in einer Ballade unterzubringen, ohne daß das Pathos den Rock'n'Roll verschluckt – „Rock'n'Rimbaud“, wie eine ihrer frühen Poetry-Performances hieß.

Für das neue Album hat sie sich mit ihren alten Mitstreitern Kaye und Jay Dee Daugherty, dem Television-Gitarristen Tom Verlaine, die auch bei der Tour dabei sind, sowie John Cale, der das Debüt der Patti Smith Group produziert hatte, die Garde der New Yorker Musikbohème von '75 noch einmal zusammengefunden. Ein Oldie-Act sind sie trotzdem nicht, dafür waren sie damals schon zu modern und sind heute noch zu umtriebig.

Mit den Worten „this little song's for Fred. It's G, C, D and D minor“, kündigt Patti Smith den letzten Titel des Albums an, den sie allein mit einer unschuldig-lausig gespielten Gitarre aufgenommen hat: Eine Ansage, die eine gewisse Verschmitztheit gegenüber dem Tod beweist.

Christoph Twickel

Do, 1. August, 20 Uhr, Musikhalle