Sinnlos abgenippelt

Serientod: Wie die „Lindenstraße“ langsam ihre Bewohner ausrottet. Ein Sammelnekrolog  ■ Von Frank M. Ziegler

Seit Sonntag ist Enrico tot! Wen wundert's? In der „Lindenstraße“ sterben sie schließlich wie die Fliegen. Gerade in den letzten Monaten geht's ratz, fatz: Kaum ist Mutter Beimers Benny-Trauerjahr sechs Monate alt, gibt auch schon Hubert Koch den Löffel ab, und kaum hat Oma Rosi Hubertchens Ehebetthälfte abgesägt, da stirbt sechs Wochen später Herr Pavarotti. Die Geier kreisen ständig über Haus Nr. 3!

Was stieg die ganze Bagage damals auch in diesen Bus? Wie kann man nur so naiv sein? Wer sich einigermaßen in den Strickmusterbögen von Endlosfernsehserien auskennt, der weiß doch spätestens seit „Dallas“, daß solche Massenveranstaltungen immer(!) mit Unfällen enden! Wie viele Flugzeuge haben wir da schon abstürzen sehen, wie viele Schiffe sind schon gesunken. Die Lindensträßler erwischte es selbst beim Sammelabgang miefig und spießig wie immer: in einem Reisebus! Endergebnis nach Hubertchens und Enricos Tod durch Spätfolgen: vier Leichen!

Will man die Lindenstraße bis zu ihrem elften Geburtstag eigentlich komplett ausrotten oder nur runderneuern? Gevatter Tod schwingt ja momentan die Sense zwischen „Akropolis“ und „Café Bayer“, als büke ihm Mutter Beimer Maultaschen dafür. Dabei ist die seit dem 30.04.95 dauerhaft mit Trauern beschäftigt: Damals lief Blumenfrau Claudia Rantzow vors Auto. „So ein sinnloser Tod!“ rief die ganze „Lindenstraße“ und „So ein sinnloses Drehbuch!“ riefen die Fans. Und dann, nur winzige 16 Folgen später, haben sie Pfarrer Steinbrück weggemetzelt! Olli Klatt und Lisa Hoffmeister erschlugen ihn gnadenlos mit der Teflonpfanne und ließen ihn anschließend vom Nachtzug der Deutschen Bahn AG den Kopf samt Heiligenschein abfahren.

Das war am 20. August. Und Mutter Beimers Trauer steigerte sich ins Crescendo. Nur 13 weitere Folgen später ließen Benny Beimer und Dieter Rantzow ihr Leben im Reisebus. Und Mutter Beimer weinte wieder Rotz und Wasser.

Wir auch. Aber nur um Benny. Dieter Rantzow war uns so egal wie das Wetter im „Marienhof“. Obwohl sein Tod natürlich sinnlos war. Aber wer ist schließlich nicht schon alles sinnlos abgenippelt in den vergangenen zehn „Lindenstraßen“-Jahren? Angefangen hatte es weiland 1986 mit dem Herzinfarkt vom alten Erdesammler Joschi Bennarsch. Dann wurde seine Frau Philo plemplem und versuchte mit einem Tiefkühl-Lkw nach Rußland abzuhauen. Nur 65 Folgen später ist sie dann friedlich entschlafen, nachdem Chris Barnsteg sie aus der Klappse befreit hatte. Dann war da Wolf-Dieter Dabelstein, den die kuhäugige Anna Ziegler-Beimer im Oktober 93 die Treppe runterschubste. Und nie vergessen werden wir auch die „dramatischen Fünf“: Benno Zimmermann, der im November 88 an Aids verschied, dann Tennislehrer Stefan Nossek, den Klausi Beimer zuvor blindgeschossen hatte und der dann vors Auto lief.

Und natürlich die Schildknechts! Gab es je soviel Leid im deutschen Fernsehen? Fast ausgerottet ist die einst vierköpfige Familie inzwischen: Mutter Henny gab sich im Januar 87 mit Tabletten den Rest. Tochter Meike starb tapfer und von Heiligenscheinen umflimmert an Leukämie, und Vater Franz, der Mann mit der gewaltigen Nase und den schrecklichen Ölbildern, erfror in der Silvesternacht stockbesoffen im Hinterhof von Haus Nummer drei, während der Rest der „Lindenstraße“ frohgemut ins Jahr 1993 hinüberwalzte!

Ach, wie gräßlich ist doch der Tod in der „Lindenstraße“! Friedhelm Ziegler hängte sich auf, Jean- Luc Mourrait starb an einer undefinierbaren Krankheit, Lydia Nolte erlag den Spätfolgen einer Grippe, Jaruzlav Winicki verschied durch Herzinfarkt genau wie Hubert Kochs Bruder Karl in Warnemünde. Dr. Dresslers Exfrau Elisabeth starb bei einem Autounfall in Griechenland, Anna Zieglers Vater Willy Jenner erlag der Altersschwäche im Zustand fortgeschrittener Verkalkung, Claudias und Dieters Vater Günter Rantzow starb in Borna an einer Staublunge, Marion Beimers Exfreund eierte bei einer Radtour vors Auto, und selbst die beiden Beimer-Hunde haben das Zeitliche gesegnet: einer wurde überfahren, der zweite vergiftet.

Haben wir jetzt alle? Dann lassen Sie uns die Namen gemeinsam noch einmal durchzählen und dann im Stillen der Toten gedenken. Beten z.B. für Mutter Beimer, deren Eierkonsum bei noch mehr Toten ins Unermeßliche steigen dürfte. Denn sind nicht auch schon Menschen an zu hohem Cholesterinspiegel gestorben?