Ein Schwebetag

■ Gedichte und Scherenschnitte von Balduin Baas

Da lebt ein Dichter in Hamburg, den vielleicht kaum einer kennt, und der doch zu den eher größeren gehören sollte. Balduin Baas ist sein Name, und selbst Fellini hat ihn schon mal gefilmt. In Die Orchesterprobe spielte er den Dirigenten, den Angelpunkt aller gruppendynamischen Prozesse in diesem Film. Ansonsten blieb er aber, obwohl er als Schauspieler oft in Film und Fernsehen zu sehen war, als Dichter eher im Hintergrund.

1922 wie Grass in Danzig geboren, verlieh die Kritik ihm 1964, als seine Autobiographie 40 erschien, das Prädikat „der Begabtere“. Trotzdem bekam er keine eigenen Schaufensterdekorationen. Sein Platz in der Nische ist allerdings durchaus selbstgewählt, seine Haltung der Provokation durchaus ernst gemeint. Nicht um den größtmöglichen Konsens bemüht, sondern um den Ausdruck der ganz eigenen Baas-Position, können seine Texte zuweilen eine verprellende Wirkung haben.

Zweiundvierzig ganz neue Gedichte des fast 75jährigen versammelt der eben erschienene kleine Band Es ist Frühling Ilse, dessen spielerisch-raffinierte, so leichte wie körperliche Bebilderung Baas mittels Scherenschnitten selbst übernommen hat. Er scheint sich nicht damit zu begnügen, sein Gesicht vor eine Kamera oder Schrift auf Papier zu stellen: Obendrein ist Baas ein bildender Künstler von einigem Format, mit der Treffsicherheit des aufmerksamen Hinsehers, die auch seine Gedichte ausmacht.

Während der Habitus seiner bildnerischen Arbeiten allerdings eher durchgängig genießerisch-leicht ist, gerät die Bandbreite seiner Gedichte größer. Neben einer mal ernstgemeinten, mal irreführenden Leichtigkeit stehen gallige Angriffe, deutliche Worte, Verwünschungen. Und das Durchschauen der entblößenden Kleinigkeiten, wie etwa in Feine Leute, Hamburg: „Der Schlachter / sich von der Kundin abwendend / entfernt mit / verlegenem Blick / aus einem langen / Stück Fleisch / das Rückenmark / Die Dame / „Jaguar“ vor der Tür / blickt jäh / gegen die Decke / als hätte / der Fleischer / onaniert“.

Balduin Baas versteckt sich nicht hinter der Pose des Dichters. Seine Worte sind so direkt aus seinem Ich, daß sie ihn ebenso verletzlich machen, wie sie Leser verletzen können. Seine Zeilen sind nicht gedrechselt, nicht verheimlicht hinter der Hermetik des Unverständlichen, sondern reduziert auf das Minimale, den geraden Ausdruck des gerade Gesehenen: Über Seiten funktioniert Es ist Frühling Ilse wie ein Einzelbildnachweis. Das Festhalten all der kleinen Momente, die am Ende einen mit offenen Augen wahrgenommenen Tag ergeben. Eine Loseblattsammlung des Alltags, die keine Scheu vor Trivialität hat und in der Albernheiten direkt neben der schmerzhaft treffend gesagten Trauer stehen.

„Ich liebe Dein Fenster“, heißt es in Dein Fenster, „wenn es inmitten / der Stunden / meiner Unglücke / von mir / besucht wird / Die kleine Gardine / reiner Zufall / es hätte jedes / andere Stück / Durchsichtigundurchsichtiges / sein können / schützt / mein Begehren / und die von mir / begangenen / Unsachlichkeiten / an Deiner weißweißen Haut / die kleine Gardine / schützt Dich / vor meinen Erinnerungen / In acht Minuten, wenn / der Verkehr es zuläßt, / fahre ich von mir / zu Deinem Fenster / und langsam vorbei. / So schön kann es / nie mehr sein.“

Das sind Komprimate, die zum Glück gereichen. Mehr davon! Thomas Plaichinger

Balduin Baas, „Es ist Frühling Ilse“, Merlin Verlag, 67 Seiten, 22 Mark