Und wo bleiben die Kinder?

Kitaplatzanspruch gilt ab 1. August: Weniger Anmeldungen als erwartet. Senat: Alles im Griff. Freie Träger: Niemand blickt mehr durch  ■ Von Ute Scheub

Wo bleiben die Kinder, fragt sich die Senatsverwaltung für Jugend kurz vor Beginn des neuen Kitajahres am 1.August. Trotz neuem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für alle Drei- bis Sechsjährigen haben weniger Eltern als erwartet ihre Kids im Kindergarten angemeldet. Wo bleiben die Kinder, fragen sich auch die Kita- betreuerInnen, aber in umgekehrten Sinne: Wo bleiben diejenigen, die nur einen Anspruch auf Vormittagsbetreuung haben, nachmittags? Gibt es also zuviel oder zuwenig Plätze? Verwirrung herrscht allerorten.

„Der Rechtsanspruch der Drei- bis Sechsjährigen auf einen Kita- platz ist erfüllt“, so die Sprecherin von Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Rita Hermanns hat zwar keine Zahlen vorliegen, weil die Bezirke diese nicht weitermelden müssen. Aber nach ihrer Einschätzung „gibt es nirgendwo Notstand“. Freie Kapazitäten im Osten könnten einen Teil der Plätze ersetzen, die im Westen fehlen. So manches Neuköllner oder Kreuzberger Kind komme in Mitte unter. Dennoch weiß auch Stahmers Sprecherin nicht, ob ab 1. August nicht doch noch entnervte Eltern an den Zäunen der Kitas rütteln, im irrigen Glauben, die amtlich verschickte Bescheinigung über ihren Rechtsanspruch sei bereits ein Bescheid über einen Kitaplatz. Gegenwärtig sei noch nicht abschätzbar, ob das komplizierte Anmeldeverfahren die Anmeldezahlen heruntergedrückt habe oder die hohe Erwerbslosigkeit, die Mütter zu Hausfrauen mache und zum Sparen bei den Kitabeiträgen zwinge. Unter den Anmeldungen seien zudem „viel mehr Halbtagsplätze als erwartet“ zu verzeichnen, vor allem in eher proletarisch geprägten Bezirken wie Wedding oder Kreuzberg.

„Der Senat ist euphorisch, wir freien Träger sind zögerlich, ich bin mißtrauisch“, so beschreibt Hildegard Immendorf vom Paritätischen Wohlfahrtsverband die Lage. „Auch wir rätseln, wo die Kinder geblieben sind und wo sie bleiben werden.“ Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz werde in Berlin nämlich recht restriktiv umgesetzt: In Brandenburg haben alle Kinder von der Krippe bis zum Ende des Grundschulalters einen ganztägigen Betreuungsanspruch. In Berlin aber begrenzt sich der Rechtsanspruch auf Drei- bis Sechsjährige und auf einen Halbtagsplatz, sobald ein Elternteil erwerbslos ist. Doch ob erwerbslose Eltern eine längere Betreuung wünschten, so die Kitafachfrau, habe niemand wissen wollen, „die Frage nach dem persönlichen Bedarf im Anmeldebogen war bezeichnenderweise die einzige, die nicht ausgewertet wurde“.

Vor allem ausländische Familien könnten ihren wahren Betreuungsbedarf oft gar nicht angeben, schimpft Hildegard Immendorf. Denn wenn einer eine Dönerbude in Kreuzberg betreibe, helfe die ganze Familie mit, ohne dort förmlich angestellt zu sein. Folge: Fünf- oder Sechsjährige müssen mittags die Kita verlassen und treiben sich in der ganzen Stadt herum. Sie habe ihren KollegInnen bereits geraten: „Bereitet euch auf ein Straßenkinderprojekt vor!“