Sauer auf Mitläufer

■ Sein letztes Interview gab er im Januar

taz: Herr Suhr, Sie wurden im September 1943 von der Gestapo verhaftet. Wußten Ihre Eltern, daß Sie einer Widerstandsgruppe angehörten?

Albert Suhr: Nein, ich hatte mein Engagement ihnen gegenüber verheimlicht. Meine Mitstreiter und ich wußten, daß wir mit unserem Leben spielten. Aus diesem Grund sagte ich meinen Eltern nichts.

Ihr „Verbrechen“ bestand darin, Flugblätter der Geschwister Scholl zu kopieren und mit Gleichgesinnten über geächtete Literatur zu sprechen. Was war die Triebfeder für Ihr Handeln?

Wir leisteten aus humanistischen Gründen Widerstand. Zur Vorgeschichte der Hamburger Weißen Rose gehört ein Lesekreis, den wir „Musenkabinett“ nannten. Diese Gruppe bestand aus schöngeistig orientierten Leuten, die in Opposition zu den Nazis standen. Unsere Themen waren von den Nazis verbotene Literatur, moderne Malerei und Musik. Insbesondere Werke, die als „entartete Kunst“ diffamiert wurden.

Sie studierten damals Medizin an der Universität Hamburg. Wie war die Stimmung in der Studentenschaft?

Wir oppositionell eingestellten Studenten waren ziemlich sauer auf unsere Kommilitonen, weil sie so passiv waren. Ich habe sie dafür verachtet.

Die Mitläufer befanden sich auf Karrierekurs; Sie und ihre Mitstreiter landeten im Gefängnis. Hatten Sie dort noch Kontakt miteinander?

Als ich meinen Freund, den Philosophiestudenten Reinhold Meyer, nach seiner Verhaftung sah – sprechen konnten wir nicht miteinander –, verständigten wir uns per Handzeichen. Er malte ein Fragezeichen in die Luft. Das sollte heißen: ,Ich stehe vor einem Rätsel, warum wir alle verhaftet worden sind.' Ich hatte panische Angst, daß ich bei den Verhören, die besonders am Anfang meiner Haft stattfanden, Sachen ausplaudern könnte, die andere belasten würden.

Sind Sie gefoltert worden?

Das nicht, aber ich bin bei einer Vernehmung vom Gestapo-Mann Hans Reinhardt im Gesicht durch Schläge erheblich verletzt worden. Solche Mißhandlungen waren jedoch nicht an der Tagesordnung. Später erfuhr ich, daß sich Reinhardt nach seiner Verhaftung durch die Alliierten aufgehängt hatte. Karl Ludwig Schneider (später Germanistik-Professor an der Hamburger Universität), der in Kolafu mein Zellennachbar war, kommentierte das damals so: ,Wenn wir so schnell die Nerven verloren hätten...' Fragen: Volker Stahl