Wer hat, der darf vermehren

Vermögensteuer, Zinsabschlagsteuer und Erbschaftsteuer: Wie in Deutschland das Privatvermögen geschützt wird. Verfassungsrichter: Vermögenssubstanz darf nicht angetastet werden  ■ Von B. Dribbusch

Berlin (taz) – Die beiden Familien S. und F. gehören nicht zu den Superreichen in Deutschland, aber doch zu den Wohlhabenden. Und die läßt der Staat fast ungeschoren. Familie S., ein Ehepaar mit Kind, besitzt ein Haus im Wert von 500.000 Mark und dazu noch Wertpapiere in Höhe von 200.000 Mark. Das Haus wird noch bis Ende des Jahres nach dem geltenden Einheitswert besteuert. Der liegt bei etwa einem Siebtel des Verkehrswertes. Es bleibt rechnerisch somit nur ein zu versteuerndes Vermögen in Höhe von 280.000 Mark. Laut Vermögensteuergesetz sind pro Ehepartner und Kind aber jeweils 120.000 Mark, für die ganze Familie also 360.000 Mark steuerfrei. Zu zahlende Steuer: keine.

Auch die Zinsabschlagsteuer schlägt für Familie F. nicht zu Buche. Bei einem Zinsertrag von sechs Prozent kommt das Ehepaar auf 12.000 Mark Zinsertrag. Genauso hoch ist der gesetzliche Freibetrag für beide Ehepartner.

Familie F., ein Ehepaar mit zwei Kindern, besitzt mehr, zahlt aber nur wenig Steuern. Eine Million Mark ist das Haus wert, nach geltendem Recht wird es mit 140.000 Mark steuerlich angesetzt. Hinzu kommt ein Wertpapierbesitz in Höhe von 500.000 Mark, macht zusammen also 640.000 Mark zu versteuerndes Vermögen. Davon gehen 480.000 Mark Freibeträge für die Eltern und zwei Kinder ab, außerdem noch Freibeträge für Kapital und Sparvermögen in Höhe von 44.000 Mark. Bleiben noch knapp 116.000 Mark, für die ein Prozent, also 1.160 Mark an Vermögensteuer fällig ist.

Die Zinsabschlagsteuer für das Wertpapierdepot wird gemindert, in dem jedes Kind 100.000 Mark an Geldanlagen überschrieben bekommt. Aufgrund der Kinder- Freibeträge werden für diese Zinseinkünfte keine Steuern fällig. Die Eltern wiederum kassieren für ihr Depot zwar Zinseinkünfte von 18.000 Mark. Abzüglich des Freibetrages sind bei einem Steuersatz von 30 Prozent (aufgrund des Ehegattensplittings) aber nur etwa 2.000 Mark Zinsabschlagsteuer zu berappen. Insgesamt zahlt die Familie somit 3.160 Mark an Vermögen- und Zinsabschlagsteuer – 0,2 Prozent vom Vermögen.

Das ist wenig – und soll auch nicht mehr werden. Zwar wird die Besteuerung von Immobilien nach Einheitswerten im nächsten Jahr abgeschafft. Immobilien sollen an ihrem Verkehrswert orientiert veranschlagt werden. Dies würde ohne eine Gesetzesänderung zusätzliche Milliarden in die Staatskassen spülen. Gleichzeitig aber erteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Steuergesetzgeber strenge Auflagen: Höchstrichterlich untersagt ist demnach eine Besteuerung der Vermögenssubstanz, weil dies einer schrittweisen „Konfiskation“ durch den Staat gleichkäme. Im Klartext: Privatvermögen darf nicht zur Umverteilung benutzt werden.

Erlaubt ist also nur der staatliche Zugriff auf Erträge – zum Beispiel Zinseinkünfte und Mieten. Von den Erträgen aus Erwerbstätigkeit und Vermögen darf der Staat aber nicht mehr als die Hälfte kassieren, legte das BVerfG fest. Außerdem müssen Freibeträge in Höhe eines Einfamilienhauses und für Alters- und Hinterbliebenenvorsorge von der Vermögen- und Erbschaftsteuer verschont bleiben.

Das Urteil des BVerfG beschränkt den Zugriff auf Privatvermögen: Die Mittelschicht wird durch die hohen Freibeträge vom Fiskus verschont. Die Spitzenverdiener dagegen können sich auf den Passus berufen, nachdem nicht mehr als die Hälfte der Einkünfte vom Staat kassiert werden darf. Wer schon einen Spitzensteuersatz von 57 Prozent auf Teile des Einkommens und Zinseinkünfte bezahlt, dürfte laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht noch zusätzlich mit einer Vermögensteuer belastet werden.

Der Entwurf des Finanzministeriums zum Jahressteuergesetz 1997 versucht, den neuen Restriktionen gerecht zu werden: Danach wird die Vermögensteuer ganz abgeschafft. Für die Erbschaftsteuer gelten hohe Freibeträge von 750.000 Mark pro Kind. Die SPD möchte die private Vermögensteuer in abgeschwächter Form beibehalten und eine befristete Abgabe für Reiche erheben. Die Sozialdemokraten verweisen dabei auf einen Gesetzespassus, der in staatlichen Ausnahmesituationen stärkere Eingriffe in das Vermögen erlaubt. Verfassungsrechtler halten eine solche Ausnahmesituation aber nicht für gegeben.

Die vom BVerfG vorgegebene 50-Prozent-Grenze für den staatlichen Zugriff auf Einkommens- und Vermögenserträge beschränkt die Belastung von Besitz – es sei denn, die Einkommensteuer würde reformiert. Erst wenn die Einkommensteuer verändert und dabei die Spitzensteuersätze von 53 Prozent gesenkt würden, wäre es möglich, Vermögen stärker zu belasten. Doch bis dahin dürften noch Jahre vergehen.