„Ich bin mir keiner Schuld bewußt“

René B. aus Grevesmühlen fürchtet, daß man ihm den Lübecker Brandanschlag doch noch „anhängen“ will. Er läßt die Polizei auflaufen und spekuliert, einer seiner Kumpels könnte das Feuer gelegt haben  ■ Von Bascha Mika

„Ist wirklich komisch“, sagt René B., „daß drei von uns zur selben Zeit diese Verbrennungsspuren hatten.“ Er schüttelt den Kopf, das Problem überfordert ihn sichtlich. „Ich kann doch nur sagen, was ich erzählt hab', stimmt. Wirklich. Aber...“, er stockt, wirft einen schnellen Blick zu seinem Freund, Caruso, „der Ütz, so nennen wir den Dirk T., der Ütz, der widerspricht sich ständig. Erst sagt er, es war der Ofen...“ – „Aber das mit dem Ofen, haut doch nich hin!“ wirft Caruso ein. „Und heut les' ich in der Zeitung, er hätte den Bullen gestern ein Autowrack gezeigt, daß er abgefackelt hat. Der widerspricht sich ständig“, wiederholt René: „Durch so eine Scheiße kommt das dann mit den Bullen!“

Blaß ist der Mann, und etwas zittrig. „Wie'n Schwerverbrecher behandeln se dich“, knurrt er. Dabei habe er es doch schriftlich – er langt in die hintere Hosentasche und holt einen Wisch hervor – schriftlich habe er es, daß er unschuldig sei. Schon vor zwei Monaten hat ihm der Staatsanwalt geschrieben, daß „das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen Verdacht des Mordes u.a. eingestellt“ sei.

Mit zwei, drei Schritten ist René B. am Fenster. Vor dem Haus in Grevesmühlen wartet ein Streifenwagen der Polizei, fünfzig Meter weiter steht ein zweiter. Es ist Mittwoch abend, für 19.30 Uhr hat sich die Kripo zur Vernehmung angekündigt. René B. soll nicht verschwinden können. Der denkt nicht daran. Ängstlich hockt er in seinem Bau. „Die wollen mir was anhängen“, murmelt er. Dann brüllt er los: „Die woll'n mich einschüchtern!“ – „Ey, Alter, bleib ruhig!“ fährt einer seiner Kumpel dazwischen. Mit fünf anderen Männern hängt René B. in der Wohnung eines Nachbarn rum, eine Etage über seiner, rennt immer wieder zum Fenster...

Etwas Ungeschlachtes hat er, dieser 26jährige, mit seinem massigen Körper, der engen schwarzen Jeans und den geschorenen Haaren, die sich über der Stirn zu einem Pony kringeln. In dem Gesicht, in dem die Lippen beim Zuhören ständig leicht offenstehen, steckt noch etwas anderes. Hilflosigkeit. Der da ist nie richtig mitgekommen. Auch jetzt begreift er nur schwer. „Ich renn' nich weg“, motzt er, „bin mir keiner Schuld bewußt.“ Geahnt habe er ja, daß die Polizei wieder ankommen würde, nachdem Safwan Eid, der Hauptverdächtige der Staatsanwaltschaft, freigelassen worden sei. „Jetzt wissen die Bullen nicht weiter. Aber daß es der Libanese war, glaub' ich eigentlich auch nich.“

Vor dem Haus bremst ein dunkler VW, zwei Männer steigen aus. Im Flur hat sich René B. aufgebaut, seine Kumpel hocken auf den Treppenstufen. „Kripo Lübeck. Herr René B.? Wir würden Sie gern sprechen.“ – Ein sehr bleicher B. greift in die Hosentasche, wedelt mit dem Schrieb des Staatsanwalts: „Hab's schriftlich, daß ich unschuldig bin.“- „Damals wurde gegen Sie ermittelt. Jetzt sollen Sie als Zeuge aussagen. Können wir uns irgendwo hinsetzen?“ René B. schnappt sich einen Sessel aus einer Flurecke, schiebt ihn dem Kripobeamten entgegen, voller Trotz. Die Kumpel grienen. „Entweder wir klären es heute in einem vernünftigen Gespräch“, sagt der Polizist, „oder Sie werden vorgeladen!“ – „Dann komm' ich mit einem Anwalt!“ René B. kreischt fast. Die Beamten machen kehrt und stiefeln die Treppe hinunter.

Es geht um zehnfachen Mord. Doch ein bißchen Aufsässigkeit, und die Staatsdiener sind in die Flucht geschlagen.

Schon einmal, am Abend zuvor, war die Kripo angerückt. Sie fragte nach René B. Der hockte bei seinen Freunden. Die behaupteten allerdings, er sei nicht zu Hause, B. selbst gab sich nicht zu erkennen. Da setzten sich die Beamten in die Runde und fragten, wo der Gesuchte denn stecken könne. B. saß ihnen gegenüber und lachte sich heimlich kaputt. Die Polizisten zogen wieder ab. Monatelang ging B.s Konterfei durch Fernsehen und Presse, sein Foto ist in den Polizeiakten. Gibt es hier keinen Ermittlungsdruck?

Am 18. Januar stand in Lübeck ein Haus in Flammen, zehn Menschen verbrannten, achtunddreißig wurden verletzt. Flüchtlinge und Asylbewerber, die in der Bundesrepublik Schutz gesucht hatten. Es war ein Anschlag. René B. aus Grevesmühlen und drei seiner Kumpel waren in dieser Nacht unterwegs. Zum Autoklau, sagen sie. Einer von ihnen, Dirk T., setzte sich mit einem gestohlenen Golf ab; die drei anderen wurden in B.s gelbem Wartburg von der Polizei kontrolliert. Am Tatort, als das Haus bereits brannte. Kurz zuvor waren sie an einer Tankstelle von einem Streifenwagen gesichtet worden.

Das Haus rauchte noch, da stand die Polizei bei den Jungmännern vor der Tür. Sie wurden verhört und gerichtsmedizinisch untersucht. Drei hatten Brandspuren im Gesicht. „Ich hab' einen Hund angezündet“, sagte Maik W., genannt Klein Adolf, „und Dirk T. war dabei.“ – „War nicht dabei“, sagte Dirk T., genannt Ütz, „und würd' auch so was nie machen.“ Seine Sengspuren würden vom Anfeuern seines Ofens stammen. „Ich hab' Benzin in einen Kanister abgefüllt“, sagte René B., „hab' dann mit einem Feuerzeug nachgesehen, ob schon genug drin war.“

Nach eineinhalb Tagen ließ die Polizei die Grevesmühlener, die sich als rechts bezeichnen oder in entsprechenden Kreisen rumtreiben, wieder frei. Nur Klein Adolf, der einige Wochen zuvor offen einen Anschlag in Lübeck angekündigt hatte, blieb im Knast – allerdings wegen anderer Vergehen. Zwei Tage später wurde dann der Libanese Safwan Eid als mutmaßlicher Täter verhaftet.

Die Grevesmühlener hätten ein Alibi, sagte die Staatsanwaltschaft. Denn zum Zeitpunkt des Brandausbruchs seien sie an der Tankstelle gewesen. Doch schon bald wurde das Alibi erschüttert. Die Brandgutachter waren sich der Tatzeit nicht mehr sicher. Spätestens in ihrem schriftlichen Bericht im März machten sie aktenkundig: Der Brand könnte auch viel früher ausgebrochen sein als bisher angenommen.

Trotzdem wurde gegen die Jungmänner nicht erneut ermittelt. Schon im Januar hatte die Staatsanwaltschaft verschlampt, den Widersprüchen über die Ursache der Sengspuren nachzugehen; diese seien „frisch“, höchstens „24 Stunden alt“ gewesen, sagen die Gerichtsmediziner. Keiner der drei Grevesmühlener hat diesen Zeitrahmen angegeben, Maik W. will sich seine Verletzungen einige Tage vor der Brandnacht geholt haben. Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die Staatsanwaltschaft reagierte. Erst mußte der Libanese Safwan Eid vom „dringenden Tatverdacht“ befreit werden. Erst mußten seine Anwältin, das Lübecker Jugendgericht, eine internationale Kommission und die Öffentlichkeit der Staatsanwaltschaft immer wieder vorwerfen, daß sie einseitig ermittelt habe. Erst dann knöpfte diese sich die Grevesmühlener erneut vor. Am letzten Dienstag hat sie Dirk T. und Maik W. vernommen. Am Donnerstag hat sie schließlich Heiko P. und René B. befragt.

Zu den Ergebnissen gibt sie keinerlei Kommentar ab.

René B. macht sich so seine eigenen Gedanken: „Ütz war doch in der Nacht stundenlang verschwunden“, überlegt er laut, „nachdem er den Golf geknackt hat. Die halbe Nacht haben wir ihn gesucht und nich mehr gefunden.“ Und er wird lauter: „Ich bin ja kein Kumpel von Ütz, aber selbst seine Freunde werden jetzt langsam stutzig.“

Und dann berichtet B. seine Version der Ereignisse, die sich deckt mit dem, was die Staatsanwaltschaft glaubt. Er hat keinen großen Wortschatz, er kann nicht erzählen, aber was er sagt, kommt ohne Zögern, ohne Nachdenken, ohne Widerspruch. Der wägt nicht ab, kann es vielleicht gar nicht so schnell. Fast entspannt sitzt er dabei auf dem Sofa, einen Arm auf der Lehne.

In seinem Wartburg hätten sie sich von Grevesmühlen aus aufgemacht, ein Auto wollten sie in Lübeck knacken. Ütz habe das Schloß aufgebrochen und sei mit dem Golf losgefahren. Er und die beiden anderen hätten Ütz dann verloren, seien in der Stadt hin und her gekurvt, hätten zwischendurch getankt und dann über die Hafenstraße nach Hause gewollt. „Da hat es da schon gefackelt, und auf der Straße lagen schon ein paar Leichen, und die Leute haben geschrien.“ Aus Neugier seien sie stehengeblieben, deshalb habe die Polizei ihre Personalien aufgeschrieben. „Wir haben es nur im ersten Stock brennen sehen“, fügt B. noch schnell hinzu. So einfach gestrickt ist er auch nicht, daß er nicht wüßte, daß dies der These vom Anschlag von außen entgegensteht.

„Der Ütz“, spekuliert René B. und strengt sich sichtbar beim Denken an, „der Ütz hätte es machen können. Das mit der Zeit, wo der Brand ausgebrochen ist, könnte doch hinkommen. In dieser Zeit war der verschwunden.“ Ist der Mann wirklich so dumm, seinen eigenen Kumpel zu belasten?

Im Hintergrund läuft Skin-Musik. Mindestens zwei der Typen, die hier mit B. rumhängen, erklären sich offen als rechts. „Rechte stören mich nich“, sagt B., „Hauptsache, sie machen keinen Scheiß, wenn ich dabei bin.“ B. hört die „Böhsen Onkelz“, wenn er schlechte Laune hat, weil ihn das „beruhigt“. Aber er sei gar nicht politisch und gewählt habe er seit der Wende nie wieder. Sechs Jahre lang war er Alki, das sei seit langem vorbei. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr hat er seine alleinerziehende Mutter geprügelt, bis sie ihn anzeigte. Noch in der DDR saß er im Knast. Vor einiger Zeit hat er mit seinem Freund Heiko P. wieder einen Bruch versucht und drei Jahre auf Bewährung gekriegt.

„Als mich die Bullen damals verhörten, ist mir alles mögliche durch den Kopf gepfiffen. Bekommst ,lebenslänglich‘, kannst dich gleich aufhängen, hast doch nichts gemacht. Das mit Lübeck gibt einem einen Stoß in die Rippen.“