Fremde mit Haustürschlüsseln

Ständige Besichtigungen: Harburger Mieter fürchten Wohnungsumwandlung durch US-Sekte, die Häuser lieber verkauft als renoviert  ■ Von Volker Stahl

„Seit zwei Monaten geht es hier durch die ständigen Besichtigungen zu wie im Taubenschlag. Wir sind total fertig mit den Nerven“, erzählt Helene Hinz. Seit 30 Jahren betreiben die Mittfünfzigerin und ihr Mann einen Schusterladen in dem Altbau am Reeseberg 27 in Harburg. „Die Scientologen versuchen schon wieder, ein Harburger Mietshaus in Eigentumswohnungen umzuwandeln“, berichtet die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Helga Weise und rechnet vor: „Vor einem Jahr hat es an der Heimfelder Straße die erste Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen durch Scientologen gegeben. Nach der Wattenbergstraße ist das Haus Ecke Reeseberg 27 / Anzengruberstraße jetzt der dritte Fall.“

„Super guter Zustand! Pflegeleichte Anlage-Immobilie schon ab 1900 Mark pro Quadratmeter“, lautet die scheinbar verlockende Offerte der FullHaus Immobilien GmbH, die sich in diesen Tagen in Harburger Briefkästen fand. Im Angebot der Umwandlungsprofis aus dem Dunstkreis der US-Sekte: 15 Wohnungen (50 bis 72 Quadratmeter groß), zwei Ladenlokale und eine Gaststätte: „Selten werden Sie ein Objekt gesehen haben, das sich in einem so hervorragenden Zustand befindet.“

Das sehen die Mieter anders. „Hier wohnt der Salpeter. Im ganzen Haus gibt es weiße Ausblühungen. Die meisten Wohnungen und das Treppenhaus sind durchfeuchtet“, sagt Helene Hinz. Nur durch ständiges Lüften sei der Modergeruch zu vertreiben. Mieterin Irmgard Meyer, 65, pflichtet bei: „Der Holzfußboden meiner Wohnung gleicht einem Flickenteppich. Die Löcher wurden einfach mit Mörtel zugeschmiert.“ Im Keller tummeln sich die Ratten.

Doch schlimmer noch ist die Unsicherheit durch die drohende Umwandlung. Das Schusterehepaar läßt den Laden keine Sekunde mehr unbeaufsichtigt, weil ständig unbekannte Personen mit Hausschlüsseln auftauchten. Helene Hinz: „Mein Mann übernachtet sogar im Laden.“ Irmgard Meyer fühlt sich von „Frau Hamatschek und anderen FullHaus-Mitarbeitern ständig bedrängt“.

Eigentümer des Hauses am Reeseberg ist die System Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co. KG (Geschäftsführer: Jörg Frigge und Rainer Lahmann) in Norderstedt. Die System habe das Haus mit Wirkung ab Oktober 1996 erworben, fand Weise heraus, die das Treiben der Psychosekte seit 1993 beobachtet.

System und FullHaus sind auch für Willi Lehmpfuhl vom Mieterverein alte Bekannte. Die System hatte den Verein verklagt, weil sie auf dessen „Scientology“-Giftliste auftaucht. Der Streit beschäftigt zur Zeit das Hamburger Landgericht. FullHaus-Mitarbeiter, weiß Lehmpfuhl, streiten nicht ab, daß sie Scientologen sind, wie die FullHaus-Angestellte Heidrun Hamatschek bestätigt: „Ich bin seit 15 Jahren Scientologin.“

Ziel der sektenfreundlichen Umwandlungsprofis ist es, die mit teuren Krediten vorfinanzierten Wohnungen möglichst schnell loszuschlagen. Lehmpfuhl kennt die Geschäftsmethoden zur Genüge: „Die Scientologen sind bekannt dafür, im Hauruckverfahren umzuwandeln. Die Spekulanten setzen die Mieter seelisch unter Druck. Die Unsicherheit macht sie völlig verrückt.“