Verzögern, klagen oder volksbegehren?

■ So einhellig die Empörung über die bayerischen Abtreibungs-Sondergesetze war, so schwierig gestaltet jetzt sich der Kampf der Sozialdemokraten gegen sie

Berlin (taz) – Ausgerechnet gegen die längste Sitzung in der Geschichte des bayerischen Parlaments hat die SPD-Landtagsfraktion vor dem bayerischen Verfassungsgericht Klage eingelegt – weil sie nicht genug reden durfte. Dabei hatte sie den überwiegenden Teil der 17 Stunden dauernden Beratungen des Sozialausschusses zum neuen Abtreibungsrecht mit eigenen Wortbeiträgen bestritten. Der SPD-Verfassungsexperte Klaus Hahnzog las zweieinhalb Stunden aus Gesetzestexten und Bundestagsprotokollen vor. Und die stellvertretende SPD-Fraktionsführerin Gerda-Maria Haas sprach anderthalb Stunden über Abtreibung im alten Ägypten.

Wie kommt die SPD nach dieser Marathonsitzung dazu zu reklamieren, ihre Redezeit sei eingeschränkt worden? Sie begründet ihren Gang vor das Verfassungsgericht damit, daß in den 17 Stunden nur das „Beratungsgesetz“ diskutiert worden sei, das vorsieht, Frauen zu zwingen, ihre Gründe für einen geplanten Schwangerschaftsabbruch anzugeben.

Das zweite Sondergesetz mit dem unaussprechlichen Namen „Schwangerenhilfeergänzungsgesetz“ reglementiert die bayerischen ÄrztInnen. Künftig soll der Anteil ihrer Einnahmen durch Abtreibungen nicht mehr als 25 Prozent betragen. Für die Diskussion über dieses zweite Gesetz bekam jede Fraktion zehn Minuten Zeit, bevor die CSU-Mehrheit in der Nacht vom 22. Juni um 2.30 Uhr beide Gesetze im Sozialausschuß durchpeitschte und sie damit an das Plenum im Landtag überwies. Das verstoße gegen die parlamentarische Demokratie, wetterte der SPD-Abgeordnete Hahnzog.

Die SPD wirft der CSU vor, die Redezeit für die Beratung des neuen Schwangerenberatungsgesetzes unzulässig begrenzt zu haben. Auch wenn die Klage zunächst absurd erscheint: Dem Verfassungsgerichtshof wird es schwerfallen, sie abzuweisen.Das Urteil wird für Ende nächster Woche erwartet.

Die Klage gehört zu der SPD- Strategie gegen die beiden bayerischen Ergänzungsgesetze zum Bonner Kompromiß über den Paragraphen 218. Sie versucht mit allen Mitteln, die Zeit zu verschleppen und damit eine Verabschiedung noch vor der Sommerpause zu verhindern.

Niemand kann sagen, ob durch eine Verzögerung die Konflikte in der CSU aufbrechen würden, so wie es sich die SPD erhofft. Diese Hoffnung wächst bei der SPD, seit sich innerhalb der Partei die Zweifel an der eigenen Strategie mehren. Vollmundig hatte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Otto Schily, mit dem Gang nach Karlsruhe gedroht, als die bayerische Landesregierung ihr Gesetzesvorhaben verkündete. Doch mittlerweile ist man sich nicht mehr so sicher, wie das Bundesverfassungsgericht tatsächlich entscheiden würde. Die Richter würden bei einer Normenkontrollklage prüfen, ob mit dem bayerischen Vorgehen der Grundsatz Bundesrecht bricht Landesrecht verletzt wird. Dazu müßten sie allerdings auch das Bundesrecht auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen. Und für ein positives Ergebnis dieser Prüfung will sich in Bonn kaum einer verbürgen. Denn an der Zusammensetzung des federführenden 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat sich nichts wesentliches geändert. Im Mai 1993 hatte er das widersprüchliche Abtreibungsurteil gefällt, mit dem eindeutig konservativen Tenor, daß bei einer Beratung die Nennung der Gründe „unerläßlich“ sei, auch wenn sie nicht erzwungen werden könne.

Die SPD kapriziert sich nun auf eine zweite Strategie gegen das bayerische Abtreibungsrecht. Der bayerische Landesvorsitzende der FDP, Max Stadtler, hatte vorgeschlagen, ein Volksbegehren in Bayern durchzuführen – eine Idee, die einige SPD-Bundestagsabgeordnete aufgriffen. Doch auch auf diesem Wege liegen einige Fußangeln: Ein Volksbegehren müßte ein eigenes Gesetz vorschlagen. Das darf jedoch nicht gegen das Karlsruher §-218-Urteil verstoßen und auch nicht gleichlautend mit dem Bundesgesetz sein. Daher bliebe nur die Chance, die bayerischen Gesetze in einer entschärften Form zur Abstimmung zu stellen – für die Initiatoren eine wenig attraktive Lösung.

Die Sache mit dem Volksbegehren müsse gründlich überdacht werden, meint denn auch der bayerische SPD-Abgeordnete Hahnzog. „Ein Volksentscheid, der gestoppt wird, schafft ungeheure Frustrationen.“ Karin Gabbert