Tibet: „Paradies mit kleinen Fehlern“

■ betr.: „Ahnungslose Schwärme rei“, taz vom 17. 6. 96

Hilfe, es gibt sie immer noch: die autonome Linke, die die politische Wahrheit gepachtet hat und in arroganter Weise über ein Volk urteilt, dessen Seele tief in ihrer spirituellen Tradition verwurzelt ist [...] Beate Loebel, Thomas Deilecke,

Berlin

[...] Argumentativ folgt der Kommentar weitgehend der chinesischen Propaganda. Man kann durchaus sagen, daß das alte Tibet ein ziemlich unsympathisches feudales Ausbeuterregime war, dessen herrschende Klassen sich das meiste dessen, was die Bevölkerung nicht unbedingt zum Leben brauchte, aneigneten und davon zum Beispiel Machtarchitektur wie den Potala-Palast bauen ließen. Auch würde ich mir ein wenig mehr kritische Distanz zu diesem „alten Tibet“ von seiten unserer Tibet-UnterstützerInnen wünschen, denn weite Teile der Tibet- Unterstützungsbewegung, auch da haben die AutorInnen nicht unrecht, sehen darin immer noch ein „Paradies mit kleinen Fehlern“.

Trotzdem sollte man bei der Wahl der Worte vorsichtig sein. Folter und Verstümmelung zum Beispiel kamen vor (was schlimm genug ist), waren aber nicht „üblich“, die Ausbeutung war nicht „gnadenlos“, sondern hielt sich in traditionell legitimierten Grenzen (was auch schlimm genug ist). Besser als unter der chinesischen Besatzung ging es der Bevölkerungsmehrheit allemal. Auch mit Urteilen darüber, ob die Religion dieser Menschen ein „abstruses Konglomerat aus Geister- und Dämonenglaube“ ist, sollte man meines Erachtens zurückhaltender sein.

[...] Daß den TibeterInnen und dem Dalai Lama selbst als Alternative zur derzeitigen Besatzungssituation mehr einfallen könnte als ein simples „Zurück in die Vergangenheit“, daß die tibetische Gesellschaft ebenso, wie zum Beispiel die hiesige, entwicklungsfähig sein könnte, kommt den AutorInnen nicht in den Sinn. „So sind die TibeterInnen eben. Einmal so – immer so!“ Genauso argumentiert die chinesische Propaganda, die daraus dann den Schluß zieht, die Tibeter seien eben „dumm und unterentwickelt“ und müßten vom chinesischen Brudervolk soweit, wie es bei denen eben geht, „zivilisiert“ werden. Genauso hat man auch den europäischen Kolonialismus in Afrika und sonstwo gerechtfertigt. In eine feine geistige Gesellschaft von Rassisten und Kolonialisten haben sich die AutorInnen des Kommentars da begeben. [...] Matthias Schulz, Hamburg

Der Dalai Lama tritt für einen modernen bürgerlichen Staat in Tibet ein und für die Trennung von Staat und Kirche; er hat sich des öfteren positiv zu sozialistischen Ideen geäußert. Er hat nie bestritten, daß die tibetische Gesellschaft reformbedürftig war und ist. Wie können Ditfurth/Goldner dies alles ausblenden und eine derartige Geschichtsklitterung zustandebringen?

Die von Haß und Vorurteil bestimmte Diffamierung der tibetischen Kultur und Religion macht Angst, ich höre die Slogans der Roten Garden der sogenannten „Kulturrevolution“. Maria und Bernhard Kaiser,

Hamburg

Der Haß auf den Buddhismus, welcher sich wie ein roter Faden durch den gesamten Beitrag von Frau Ditfurth und Herrn Goldner zieht, ist das eigentlich Interessante an diesem Text. Woher dieser stammt, darüber können wir nur spekulieren. Wenn aber von der taz in diesem Zusammenhang angemerkt wird, daß Autorin und Autor sich „mit rechten Esoterikströmungen“ auseinandersetzen, dann stellt sich die Frage, ob hier ernsthaft Buddhas 2.500 Jahre alte Weisheitslehre mit selbstgebastelten Germanenkulten rechtsradikaler Gruppierungen in einen Topf geworfen werden soll? [...] Martin Barkawitz, Osnabrück

Mit Befremden sind die regelmäßigen Auftritte des Dalai Lama in obskuren Esoterikkreisen zu registrieren: Im letzten Jahr etwa stand er als Schirmherr der sogenannten „Friedensuniversität“ in Berlin vor, einem Aufmarsch führender Vertreter aus der rechten Esoterikszene. In diesem Zusammenhang wurde auch seine Wertschätzung für den japanischen Sektenführer Shoko Asahara bekannt. Monika Reich, Forum Kritische Psychologie e.V., München

Der Kommentar von Ditfurth/ Goldner geht wohl meilenweit am Kern der Tibet-Problematik vorbei. Bei aller berechtigten Kritik an den traditionellen Strukturen in Tibet geht es doch eindeutig um das Recht der tibetischen Bevölkerung, selbst zu bestimmen, unter welchen Bedingungen sie leben will. Der Dalai Lama hat wiederholt betont, daß von seiten der tibetischen Lamas sehr schwere Fehler begangen worden sind und daß er, sobald Tibet unabhängig geworden ist, als politisches Oberhaupt zurücktreten und somit den Weg für ein demokratisches Tibet freimachen wird. [...] Stefan Lutter, Ense

Wenn die AutorInnendie Welt Tibets durch die – in unserer Zivilisation übliche – materialistische (sei sie nun kapitalistisch oder marxistisch gefärbt) Brille betrachtet haben, kann an Schlußfolgerungen natürlich nichts Differenziertes dabei herauskommen. [...]

Auf jeden Fall kann ein ernsthaftes Bemühen um eine Auseinandersetzung mit der tibetischen Kultur kaum dazu führen, derartige Platitüden von sich zu geben – es sei denn der Sucher und die Sucherin sind in ihren Wahrnehmungen stark eingeschränkt oder politisch verblendet. Almut Schulz

Der Inhalt des Kommentars besticht durch Oberflächlichkeit und irrige Anschauungen und bedarf an einigen Kurzbeispielen einer Richtigstellung.

1. Es handelt sich nicht um vier Sekten, sondern um vier Schulen des tibetischen Buddhismus. 2. Der Dalai Lama beansprucht keineswegs göttlichen Status (siehe Fernsehinterviews, Bücher etc.). 3. Geister- und Dämonenglauben gehören zur Ur-Religion (Bön) Tibets. Die Gelugpa-Schule ist ausschließlich philosophisch orientiert. 4. Erweckung von Mitgefühl (durch Erkennen und Transparentmachen unserer Neurosen beziehungsweise Unwissenheit) ist das „Fahrzeug“ der Buddhisten. Nicht raffiniert geschürte Angst vor dem Jenseits. Frank Joest,

prakt. tibet. Buddhist

Ich denke, daß es genug Menschen gibt, die sofort wußten, daß dieser Kommentar von völlig unwissenden Menschen geschrieben wurde. Denn jeder – denke ich – weiß, daß der Dalai Lama nicht durch die „Zufallsdeutungen“, sondern präzise Angaben – durch den 13. Dalai Lama – gefunden wurde. Außerdem sollen die beiden mir mal erklären, was sie mit der raffiniert geschürten Angst vor dem Jenseits meinen! Außerdem gibt es nicht ein Kind, das unfreiwillig in ein Kloster geht. [...] Klaus W. Bösel, Buddhist

[...] Mitte des 13. Jahrhunderts gab es die Gelugpa-Schule noch gar nicht, darum konnte sie auch schlecht irgendwelche Macht ausüben. Daß der Vertrag von 1914 nicht ratifiziert wurde und damit eben auch nicht in Kraft trat, Tibet seine Unabhängigkeit also beibehielt, verschweigen uns die beiden ebenfalls. Und auch die anderen Daten stehen auf wackeligen Beinen. Nun, Unwissenheit ist keine Schande. Eine Frechheit ist es aber schon, wenn die beiden dann anderen Leuten historische Unkenntnis vorwerfen. [...] Hilko Drude, Göttingen

Mit genau dieser Argumentation und nahezu dem gleichen Wortlaut rechtfertigte und rechtfertigt die KP Chinas ihre brutale Politik in Tibet. An Intoleranz und Religionsfeindlichkeit können sich Ditfurth/Goldner und die KP Chinas die Hand reichen. [...] Helmut Forster-Latsch,

Frankfurt