In Missionarsstellung

Himmlischer Frieden? In München wurde über die Situation der chinesischen Kultur diskutiert  ■ Von Thomas Pampuch

Nacheilende Sensiblität, so könnte man die Bemühungen zusammenfassen, mit denen sich eine Reihe Chinaexperten am Sonntag in der vollbesetzten Münchner Muffat-Halle zur Diskussion stellten. Thema: „Himmlischer Frieden – Über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.“ Nachdem die chinesischen Machthaber über ihre willfährigen Helfer in der Bonner Botschaft die chinesischen Kulturwochen in München platzen ließen, weil dort Dissidenten auftreten sollten, ist die Diskussionsrunde zum Haupt- und Ersatzereignis zugleich geworden.

Es ist viel darüber gestritten worden, ob es klug (und „sensibel“) war, sich diese Gesprächsreihe von den Chinesen bezahlen lassen zu wollen. Immerhin weiß man nicht erst seit gestern, daß die Führung in Peking in Fragen freier Meinungsäußerung ihr unliebsamer Menschen gern und brutal mauert. Oberbürgermeister Ude wies in seiner Einführungsrede allzu scharfe Kritik, aber auch übertriebenes Lob an den Veranstaltern zurück: „Im eigenen Lande wohlbehütet und geschützt mutig der Meinungsfreiheit eine Gasse zu schlagen, ... das ist in Wahrheit gar kein Akt großer Zivilcourage, sondern eine pure Selbstverständlichkeit.“

Derart eingestimmt bemühten sich alle Beteiligten des Podiums, nun nicht die allzu wohlfeile Kritik in den Mittelpunkt zu stellen. So richtig das war, so richtig war es aber auch, zunächst Shanshan Wei-Blank das Wort zu erteilen. Sie ist die in Deutschland lebende Schwester von Wei Jingshen, einem Führer der Bewegung der Mauer der Demokraten, der nach 15 Jahren Haft kürzlich wegen des Verfassens eines kritischen Artikels erneut verhaftet wurde. Und so notwendig Diplomatie sein mag, so unverzichtbar ist es natürlich, die wirklichen Verbrechen der Pekinger Führung zu benennen, die sich ja leider nicht im Platzenlassen von Kulturveranstaltungen erschöpfen. Was Shanshan Wei- Blank sehr sachlich über die Behandlung ihres Bruders berichtete, verstößt selbst gegen das chinesische Recht.

Auch Henrik Bork, der aus China ausgewiesene FR-Korrespondent (und wie Moderator Helmut Martin ehrenvolles Mitglied der „schwarzen Liste“, die man in Peking eigens für München gebastelt hatte), sprach nicht in eigener Sache. Aber er verwahrte sich in einem wohltemperierten offenen Brief dagegen, daß der chinesische „Kultur“-Attaché in Bonn den Gewerkschafter Han Dongfang einen „Verbrecher“ genannt und verlangt hat, er dürfe nicht zu dem geplanten Festival kommen.

Vermittlerdienste im interkulturellen Dialog bot der Sinologe Karlheinz Pohl aus Trier an. Der riet, die eigene Entwicklung ernster zu nehmen: Die Geschichte der Menschenrechte sei in Europa gerade mal 300 Jahre alt, und eben diese 300 Jahre habe es gedauert, bis sie halbwegs politisch durchgesetzt worden seien.

China habe in der Politik der westlichen Länder freilich wenig von diesen Menschenrechten zu spüren bekommen. Es bestehe also kein Grund zur Überheblichkeit. Daß „Westlichkeit“, eine „auf Kolonialismus und Imperalismus gründende Erfolgsstory“, inzwischen weltweit zum Maßstab geworden sei, dürfe nicht zu Eurozentrismus und missionarischem Eifer führen. Eine Warnung, die Shanshan Wei-Blank mit dem Einwurf ergänzte: Die Chinesen bräuchten niemanden, der ihnen die Menschenrechte überstülpen müsse. Wenn jemand den Chinesen etwas überstülpe, dann seien es die Schlächter vom Platz des Himmlischen Friedens.

Es war bezeichnend und lehrreich, daß die beiden weiteren chinesischen Teilnehmer der Runde weitaus „kultureller“ argumentierten als die deutschen. Der in Köln lebende Journalist Shin Ming berichtet über den Schriftsteller Wang Shuo und dessen feinsinnige, manchmal zynische Art, die Regierung, aber auch Intellektuelle und Schriftsteller in seinen Novellen und „Nonsens“-Erzählungen zu entlarven.

Der Dissident Cai Chongguo (Paris) beschrieb die Arbeit und die Schwierigkeiten des Philosophen Li Zihou, der den Menschen und nicht den Staat in den Mittelpunkt seines Denkens stellt, und damit in China ziemlich allein dasteht. Beiden Exilchinesen war anzumerken, daß es ihnen trotz und wegen der geplatzten Kulturwochen darum ging, zumindest etwas von der aktuellen chinesischen Kultur nach München zu retten und zu zeigen, daß sie sich durchaus mit den politisch relevanten Fragen beschäftigt – nur eben anders, als man hier erwartet.

Gerade die Beiträge der Chinesen haben gezeigt, wie wertvoll es gewesen wäre, chinesische Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in großer Zahl für einige Zeit hier zu haben. Es hätte – abgesehen vom kulturellen Vergnügen – auch für unsere eiertanzenden Diplomaten auf politischer wie auf kultureller Bühne ein Kursus im Umgang mit und zum besseren Verständnis von Chinesen werden können. Es gibt – so Helmut Martin zum Abschluß – Zeichen von Schwäche in der chinesischen Führung: „Was aber passiert, wenn diese Ruine zusammenbricht?“

Weitere Veranstaltungen: Mittwoch, 19. Juni, um 18 Uhr: „Neue Märkte um jeden Preis? – Über Kapitalismus und Menschenrechte“; Sonntag, 23. Juni, um 11 Uhr: „Pekingente und Fahrräder – Sinologen über unsere China-Klischees“, Muffat-Halle München