Die wahren Opfer sind die Tschetniks

■ Die Massengräber von Srebrenica sind leer, behauptet Mira Beham. Sie existieren nicht einmal. Alles Gegenteilige ist antiserbische Propaganda. Ein skandalöses Buch

Behams Schrift ist faktenreich und genau – 157 Seiten lang. So lange nimmt die Münchner Publizistin Mira Beham Anlauf, bis sie zu ihrem eigentlichen Anliegen kommt, den (Bürger-)Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. „Die Wahrheit über Kriege erfährt man erst, wenn sie vorbei sind“, erklärt sie. Das war immer so. Seit John Delane, Herausgeber der Times, 1854 einen Reporter ins Gefecht gegen Rußland schickte, wird die Presse benutzt, um Stimmung für den Krieg zu machen.

1914 berichteten englische Zeitungen von deutschen Soldaten, die massenhaft belgische Frauen vergewaltigt und den Babys die Arme abgehackt haben sollen. Die Unterwerfung der deutschen Presse unter Goebbels' Propagandaapparat ist bekannt. Um die Wahrheit nicht wie in Vietnam ans Licht kommen zu lassen, riegelten die Amerikaner in Grenada, Panama und im Golfkrieg die Tatorte generalstabsmäßig ab. Margaret Thatcher handelte auf den Falklands ebenfalls ohne Kontrolle der Medien. Der Golfkrieg brachte eine neue Dimension: Durch gezielte PR der Agentur Hill& Knowlton wurde das strategische Interesse der USA aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit ausgeklammert. Statt dessen bauten 119 Mitarbeiter der Agentur das Bild von Saddam Hussein als irakischer „Hitler“ auf und stellten den Kriegseinsatz als Kampf für Menschenrechte und Demokratie dar. 312 Babys, die von den irakischen Invasoren in Kuwait aus den Brutkästen gezerrt und auf den Fußboden eines Krankenhauses geworfen worden sein sollen, regten die Massen auf. Die „Augenzeugin“, ein 15jähriges Mädchen, stellte sich später als Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA heraus.

So weit, so schlecht. Auf Seite 158 beginnt Behaims Buch erst richtig: „Als der Krieg in Jugoslawien ausbrach...“ Vieles, was Beham erzählt, ist bekannt, nicht alles. Bekannt ist, daß die amerikanische PR-Agentur Ruder Finn, die schon 1991 für kroatische Nationalisten geworben hatte, später auch von den bosnisch-muslimischen eingespannt wurde. Tudjman gab für diese Kampagne mehr Geld aus als Coca-Cola und Pepsi zusammen für ihre Werbung. Mit Erfolg: Die US-Regierung wandte sich dem Tudjman-Regime zu und von Belgrad ab.

Ruder Finns Strategie: Vereinfachen des Konflikts auf eine gute und eine böse Partei. „Wir wußten, daß das Spiel auf diesem Platz gespielt wird“, erklärte James Harff, Chef von Ruder Finn, nachdem er die Berichte über „Massenvergewaltigungen“ und „Konzentrationslager“ in den Medien lanciert hatte. „Wir hatten ins Schwarze getroffen.“ Hat er die Geschichte überprüft? „Unsere Aufgabe ist es nicht, Informationen zu überprüfen. Unsere Aufgabe ist es, Informationen, die uns günstig erscheinen, schnell in Umlauf zu bringen und ein sorgsam ausgewähltes Ziel zu treffen.“

Durch Fakten wie diese bestreitet Beham die These von der Alleinschuld „der Serben“, die mittlerweile ohnehin nur noch in der FAZ und der Welt aufrechterhalten wird. Schon die Initialzündung soll nicht von Belgrad ausgegangen sein:

– In Slowenien marschierte die Jugoslawische Volksarmee (JNA) ohne Schießbefehl und Munition ein und wurde doch von der slowenischen Territorialverteidigung beschossen. Peter Handke hatte in seinem umstrittenen Reisebericht ähnlich argumentiert und gefragt, warum die meisten der 70 Toten dieses Initialkriegs Angehörige der JNA gewesen seien.

– In Borovo bei Vukovar waren vor der „Befreiung“ durch die Volksarmee etwa 5.000 Serben in einem Lager inhaftiert, „von denen vermutlich 1.000 durch ,rituelle Tötungen‘ ermordet wurden“, schreibt Beham. Als die JNA aufmarschierte, verfügte Franjo Tudjman, daß kein Zivilist aus der Stadt entlassen werde. Er habe Vukovar für Propagandazwecke gebraucht.

Die Verantwortlichen sitzen für Beham also in Ljubljana und Zagreb. Auch das Massaker von Sarajevo vom 4. Februar 1994, das den Nato-Einsatz zur Folge hatte, wurde laut Beham nicht von serbischer Seite verursacht. Das gilt auch für die Granaten von Ende August 1995, ebenfalls Grundlage für Nato-Einsätze; sie sollen aus muslimischen Siedlungen abgeschossen worden sein.

Indem Mira Beham einräumt, daß auch Tschetniks „grausame Verbrechen“ begangen haben, „die durch nichts zu rechtfertigen sind“, spricht sie Belgrad frei. Den Tschetniks billigt sie ein bißchen Opferstatus zu. Beham unternimmt denselben Versuch, den sie den USA beziehungsweise der Nato vorwirft: Ohne Beweise stellt sie Behauptungen auf. „Sollen“ und „vermutlich“ sind ihre Absicherung. Ihre Mischung aus Vermutungen und Realität gipfelt in der Negation der Gräber von Srebrenica.

24 internationale Journalisten, berichtet Beham, suchten nach dem Fall der Enklave anhand der amerikanischen Satellitenfotos nach dem „Symbol des serbischen Faschismus“ (Joschka Fischer). Sie fanden es nicht. Doch das heißt nicht, daß die Gräber nicht existieren. Zahlreiche Sammelgräber an anderer Stelle wurden längst entdeckt, nicht nur von Tschetniks ausgehobene. Vielleicht kommt die Wahrheit später ans Licht. Auch Beham besitzt sie nicht. Bis es soweit ist, wäre es auch für sie besser gewesen, sich nicht zum Propagandisten einer Seite zu machen. Peter Köpf

Mira Beham, „Kriegstrommeln, Medien, Krieg und Politik“. dtv, Mchn. 1996, 260 S., 28 DM