■ Pornoreporter Harry feierte sein Jubiläumsvideo
: „Wie war's denn, Calice?“

Wattenscheid (taz) – „Einlaß erst ab 18: Ausweiskontrolle“, prangt an der Eingangstür des Kulturladens in Wattenscheid bei Bochum. Doch trotz dieser Restriktion findet sich nur ein recht intimer Kreis zusammen an diesem lauen Sommerabend. Kaum zwei Dutzend Leute – der Männerüberschuß ist überdeutlich – freut sich auf die Aufführung des Videos, der dann ein Autorenvortrag folgen soll. Und so gesittet seminaristisch, wie sie geplant ist, läuft die Veranstaltung dann auch ab.

Im Fokus des Interesses stehen hier Leben und Werk des Medienkollegen „Dirty Harry“, die Kunstfigur eines Fernsehreporters, der sich voll und ganz auf die Schlafzimmerperspektive kapriziert hat. Voll authentisch seine Produkte. Kamera läuft: In ihrem Wohnzimmer, genauer zwischen knautschigen Sofakissen, werden jetzt Calice (18) und Frederic (35) gezeigt. Auf dem Couchtisch im Vordergrund ist eine Obstschale recht dekorativ anzusehen.

Und schon drängt sich von rechts ein Allerweltskerl ins Bild, Typ Zugabfertiger. Ausgerüstet mit wichtigen Accessoires wie Baskenmütze, Schnauzbart, Lesebrille und Mikrophon. Harry brabbelt los: „Überall, wo die beiden sind, machen sie Liebe.“ Etwa im Badezimmer der Privatwohnung, „hier kann man nämlich kleine Natursektspielchen machen“, kündigt der Reporter an und flieht aus der Duschkabine ins Trockene, derweil Calice und Frederic einander innigst bepinkeln.

Anschließend wird bis zum Finale kräftig penetriert und niemals darf Harrys demoskopische Nachfrage fehlen: „Wie war es, hat es Spaß gemacht?“ fragt er Calice, die, dramaturgisch optimal, also ergeben lächelt. Bis endlich ausgeblendet wird.

Sechs Nümmerchen umfaßt eine Kassette von „Dirty Harrys Pornoshow“ im Durchschnitt, die Videos gelangen im Zwei-Monats- Rhythmus auf den Markt. Jüngst hat der „Filmemacher“ (Selbstdarstellung) sein 65. Werk produziert. „Mittlerweile mache ich die erfolgreichste Pornoserie der Welt“, behauptet Harry, „sogar in Australien habe ich einen Fanclub“.

Der Pornograph kennt die Gründe seines Erfolges natürlich ganz genau: „Die Leute leihen sich meine Kassetten aus den Videotheken, um zu gucken, ob sie jemand von den Darstellern erkennen.“

Denn „Dirty Harry“ dreht seine Streifen, obzwar er professionelles Betacam-Equipment nutzt, ausschließlich mit AmateurInnen. 800 Mark erhalten die kopulierenden Paare dafür, daß sie die Vermarktung ihres Liebesspiels erlauben. „Etwa 60 Paare bewerben sich jeweils für die Kassette“, verkündet der Harry stolz, „initiativ sind dabei die Männer. Die sagen, was der Pornodarsteller kann, das kann ich besser.“ Frauen dagegen neigen, so Harrys elfjährige Filmerfahrung, eher zum Reden.

Ihnen entlockt der Bettreporter vor der jeweiligen Koitussequenz in ewig anbiedernder Prosa höchst banale Äußerungen. Etwa über ihre Hobbys. Und gern über ihre Urlaubserlebnisse. Oder der ständig Mikrophon bewehrte Schmutzfink fingert an den schon Entkleideten rum. „Dein Busen ist ja noch recht stramm“, fragt Harry, „wann hast du dich zum letzten Mal rasiert, gerade?“

Aber nicht nur investigativ fragend, auch abgeklärt antwortend präsentiert sich Harry dem interessierten Publikum. „Was also, Harry, ist Ihr größer Wunsch?“ fragt Kollege Hendryk M. Broder (Spiegel) im edlen Fragebogenstil. Darauf bekommt der Autor des Hamburger Magazins von „Dirty Harry“ dann auch die gerechte Antwort: „Ich möchte als Profifilmer den Grimme-Preis erhalten. Damit wäre meine Arbeit endlich anerkannt.“ Thomas Meiser