Krötenglück und Metamorphose

■ „Man darf mit dem Naturschutz nicht erst anfangen, wenn es nur noch ein paar Exemplare Frosch gibt“ / Seit April lauert der Naturschützer Schwartze den Amphibien im Werderland auf. Nur wenn ihn das Gequake nervt, schmeißt er das Radio an.

Seine Sternstunde hatte er eines nachts im April im Werderland. Irgendwann gegen Mitternacht sprang dem angehenden Diplom-Geografen Michael Schwartze das Glück in einen leeren Eimer Puszta–Salat: Es war eine „Fast-Albino-Kröte“, weiß mit den typischen rotbraunen Krötenpocken übersät, und mit dem echten gelben Erdkrötenauge, von dem der Student im elften Semester als „Goldauge“ schwärmt. Nicht zu übersehen: Schwartze ist ein Frosch- und Krötenfreund.

Ein Umwelt- und Naturschützer ist der 29jährige außerdem. Auch wenn er eigenhändig Dutzende von leeren Plastik-Salatkanistern im südlichen Werderland vergraben hat, dient alles nur der Natur – und ihrer Erforschung. Die Dosen, die Schwartze im Vogelschutzgebiet unter die Grasnarben verbuddelt hat, sind seine Frosch- und Krötenfallen. In Verbindung mit einem kleinen grünen Zaun um sämtliche Teiche bilden sie quasi die Mautstationen auf der Krötenwanderung: Beim großen Ansturm auf das Laichgewässer entkommt kaum eine Kröte dem Sturz in die Salatbox. Eigenhändig fischt der Student sie dann wieder heraus, zählt, wiegt und fotografiert jedes Exemplar – „weil alle eine unterschiedliche Zeichnung auf dem Rücken haben“.

Das Farbspiel dokumentiert der angehende Geograf mit Schwerpunkt „Landschaftsökologie“ allerdings nur neben seiner wirklichen Arbeit. In der Hauptsache geht es ihm um die Vermehrungsrate der Frösche im Werderland. Im Titel seiner geplanten Diplomarbeit wird Michael Schwartze lyrisch von einer „Metamorphose“ schreiben. Martin Rode, Naturschutzexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), prophezeit der Studie schon vorab einen Riesenerfolg. Egal nämlich, wieviel Frösche sich vom Froschei im Tümpel oder im Graben des Werderlandes später mal zum Fröschlein mausern, „der enorme Froschbestand im Werderland steht schon jetzt fest und das ist eine wirklich gute Nachricht.“ Wie hoch die Geburtenrate der Fröschlein im Werderland allerdings wirklich liegt, kann vor November niemand wissen. Vorher müssen die Frösche noch aus ihren Laichgewässern zurück Richtung Winterschlafplätze wandern. Dann wird ihr Sturz in die Froschfallen wieder registriert. Einwanderungsrate im April minus Rückwanderungsrate – so führen Menschen Volkszählungen in Froschpopulationen durch.

Die bisherigen Daten sind beeindruckend: Über 4.000 Erdkröten hat Michael Schwartze allein im Randgraben zum Klöcknergelände gezählt, seit die große Froschwanderung im südlichen Werderland am elften April einsetzte. Dazu kommen nochmal ein paar hundert Grasfrösche, 100 männliche Kreuzkröten, sowie etliche Seefrösche und Teichmolche. Sogar die seltene Knoblauchkröte hat er zweimal rufen gehört. „Abends und in der Nacht. Tagsüber quaken nur die Erdkröten.“

Logisch, daß die große Kröten- und Froschwanderung auch in einer Nacht stattfand: „Am elften April. Das war der erste feuchte Tag, an dem die Temperaturen stimmten“, sagt Michael Schwartze. „Endlich.“ Denn als die Tiere bei Einbruch der Dämmerung wie auf ein geheimes Signal hin aus ihren Winterquartieren quollen, waren sie schon Wochen im Verzug. Die Kälte hatte sie unter stillgelegten Klöckner-Bahngleisen, in Mauselöchern und Erdhöhlen auf der Sandspülfeld, dort der Ökopfad vom Lesumufer abbiegt, gehalten. Für den Ökologen war das Rascheln der anrückenden Frösche im Gras Musik in den Ohren. Mit dem einsetzenden „Froschregen“ sind seine einsamen Nächte im Werderland gezählt. Die Rückwanderung der Tiere beginnt im Juli. „Dann reicht es mir hier auch“, lacht er. Daß er von Natur jemals genug kriegen könnte – diese Erkenntnis hat ihn überrascht. Sein Gegengift: „Manchmal höre ich Musik im Auto. Hätte nie gedacht, daß ich das jemals tun würde.“

Eigentlich kennt Michael Schwartze das Leben als Froschmann schon länger: Vor zwei Jahren half er bereits beim Kartieren der Frösche auf dem Klöcknergelände – dort, wo jetzt der Industriepark-West entstehen soll. Seine neueste Bilanz vom Froschvorkommen im Werderland ist deshalb auch nicht umwerfend; Erdkröten und Grasfrösche sind im Marschenland zuhause. „Noch“, warnt Michael Schwartze allerdings. Denn im Münsterland, wo er vor zehn Jahren begann, Amphibien zu studieren, sind Grasfrösche mittlerweile rar geworden. Nur die Erdkröte hält ihren Bestand – dank giftiger Stoffe auf der Haut verschmähen die meisten Fische den pickeligen Hüpfer ebenso wie seine Kaulquappen. „Für die Grasfrösche muß das Verhältnis Wasser-Land stimmen“, sagt der Student. Mit einem Teich alleine könne man den Fröschen noch lange nicht das Leben retten. Es komme auch auf die richtigen Winterquartiere an. ede