"Widerstand würdigen"

■ Wehrmachtsdeserteure sollen pauschal rehabilitiert werden, fordert Ignatz Bubis

taz: Seit Jahren bemüht sich eine Initiative um die pauschale Rehabilitierung der Deserteure aus der Wehrmacht des NS-Staates. Die Rechtspolitiker des Bundestags haben sich aber immer noch nicht geeinigt. Ist es wichtig, diese Frage zu klären?

Ignatz Bubis: Ich verstehe und unterstütze die Forderung derjenigen, die aus politischen Motiven oder ihrer Überzeugung wegen aus der Wehrmacht desertiert sind, nach Rehabilitierung und Entschädigung. Sie dürfen nicht als Kriminelle gelten, sondern müssen in ihren Überzeugungen gewürdigt werden. In Fällen von Kriegsdienstverweigerung oder Wehrkraftzersetzung sollte es eine generelle Rehabilitierung geben. Eine solche pauschale Rehabilitierung könnte auch sicherlich auf andere, ähnliche Bereiche erweitert werden. Die betroffenen Menschen sollten auch entschädigt werden. Ist das nur für die überlebenden Deserteure wichtig?

Die Rehabilitierung muß auch posthum gelten.

Würde sich die Klärung über die Betroffenen hinaus auswirken?

Natürlich hätte das Auswirkungen, weil deutlich gemacht würde, daß Widerstand gegen ein Terrorregime und Befehlsverweigerung unter einer Diktatur nachträglich nicht bestraft werden darf, sondern Anerkennung erfährt.

Gegner der Rehabilitierung behaupten, damit würden Millionen deutscher Soldaten nachträglich ins Unrecht gesetzt, die guten Glaubens ihrem Land dienten und nichts Böses wollten.

Soldaten haben sich schon immer auf den Willen zur Pflichterfüllung berufen, und das können sie auch künfig tun. Dabei weiß man doch, daß sich hinter diesem Begriff auch Überzeugungstäter verstecken. Ich sehe in einer Rehabilitierung der Deserteure keine Diffamierung derjenigen deutschen Soldaten, die bis zum Schluß ihren Dienst getan haben, ohne dabei Verbrechen zu begehen.

Es heißt, mit einer Rehabilitierung würden heute Deserteure ermutigt, werde die Loyalität gegenüber der Bundeswehr gefährdet.

Auch das trifft nicht zu. Die Bundeswehr ist doch nicht vergleichbar mit der Wehrmacht, und sie sieht sich doch auch selbst nicht in der Tradition der Wehrmacht des NS-Staates.

Wieso dann der anhaltende Widerstand der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag gegen die pauschale Rehabilitierung?

Sie befürchtet zu Unrecht eine Diffamierung der anderen Wehrmachtssoldaten und Schäden für die Bundeswehr. Es wäre ein Erfolg demokratischer Erziehung klarzustellen, daß es geboten ist, einem Unrechtsregime den Gehorsam zu verweigern und Widerstand zu leisten. Wir sind doch genauso umgegangen mit den Deserteuren der Nationalen Volksarmee der DDR. Diese Soldaten sind hier doch nicht bestraft oder mißachtet worden, sondern wurden verständnisvoll aufgenommen und als politische Flüchtlinge anerkannt.

Ist dieses Problem leichter zu lösen, wenn die Kriegsteilnehmergeneration nicht mehr unter den aktiven Politikern vertreten ist?

Wahrscheinlich wird das so sein. Aber dann wird auch kaum noch jemand leben, der von einer Rehabilitierung profitieren würde. Und deshalb muß man es jetzt machen. Interview: Hans Monath