Die handelnde Stunde der Nacht

■ Bernard–Marie Koltès' In der Einsamkeit der Baumwollfelder im Malersaal

Zwei Männer begegnen sich in einer fast metaphysischen Nacht, in der „Stunde des wilden Umgangs der Menschen und Tiere untereinander“, in einem Raum, der nur von ihrem Dialog umzirkelt wird: Der eine ein unerschütterlich freundlicher „Blues Man“, der andere ein unberechenbarer Punk. Der eine ein Dealer, der andere ein Kunde. Das Gespräch, das die beiden beginnen und das zu ihrem „Deal“ führen soll, wird ihr Kampf, ein Kampf der Worte, in dem die Beteiligten sich unmerklich ebenso verändern wie ihre Positionen.

In der Einsamkeit der Baumwollfelder ist eine Geschichte von zwei Figuren, eine Konversation, ein Dialog nach Art des 18. Jahrhunderts“, sagte Bernard-Marie Koltès 1986, noch bevor Patrice Chéreau die Uraufführung des schwierigen, vielschichtigen und wunderschönen Textes besorgte. „Sie begegnen sich, jeder erwartet vergeblich etwas vom anderen. Am Ende prügeln sie sich – und doch ist es eine komische Geschichte.“

Die Ränder in der Mitte der Gesellschaft, die Abgründe gleich neben dem Vordergrund hat Koltès mit Figuren gefüllt, die lebendige Menschen sind und doch auch immer Träger einer Haltung, einer spezifischen Form von Da-Sein, Vermittler eines Zustands der Dringlichkeit, den er selbst sein kurzes Leben lang gelebt hat. Ausgangspunkt des Textes waren Koltès' Aufenthalte in New York, aus deren Bildern er im Jahr zuvor schon sein Hafen-Drama Quai West gezogen hatte. Doch um keine reale „East-Side-Erfahrung“ geht es hier, um keinen Realismus, um keinen Dialog auf der Straße, sondern um die Verdichtung eines Zustands: einer gegen den anderen und jeder gegen die Einsamkeit. Um die Einsamkeit ging es Koltès auch in Quai West, und auch dort bat er sich aus, das Stück trotz aller Schwärze nicht als tragisch zu sehen: „Es wäre gut, von vornherein zu bedenken, daß jedes Sprechen ironisch und jede Bewegung schwerwiegend ist; so ließe sich vermeiden, Dinge ernst zu nehmen, die es nicht sind“, schrieb er.

Für den Malersaal inszeniert der junge Regisseur Michael König die wie Monologe wirkenden riesigen Textbrocken der Koltès-Vorlage, die doch immer wieder ineinandergreifen, mit Markus Boysen als „Dealer“ und Jochen Tovote als „Kunden“. Und während die beiden sich in ihrem Verbalkampf die Haut vom Leib reißen, erreichen sie im besten Fall die Intensität, die Koltès sich wünschte: der Dialog als erbittertes Liebesspiel, der Wortwechsel als ambivalenter Kampf aller Unentschiedenheiten.

„Jede Bewegung, die ich als Hieb auffasse, entpuppt sich als Streicheln“, heißt es bei Koltès, „es ist beunruhigend, gestreichelt zu werden, wenn man geschlagen werden sollte.“ Und: „Es gibt keine Regel; es gibt nur Mittel; es gibt nur Waffen.“ Thomas Plaichinger

Premiere am 7. Juni, 20 Uhr