Mittel gegen Menstruationsbeschwerden wird 35

Als der Papst 1968 jegliche Verhütung außer der „natürlichen“ verdammte, war es längst zu spät. „Konkret“ forderte: „Freiheit für die Pille“, und die Frauen nahmen sie sich. Die Freiheit kam. Nur, die Last mit der Lust blieb  ■ Von Karin Gabbert

Am Anfang steht, warum ich das Ding nie geschluckt habe: „Eine Frau, die die Pille nimmt, verfügt über eine gewisse Diszipliniertheit, ohne die die Pilleneinnahme unsinnig wäre.“ Wie wahr. Das war's schon.

Als sie 1960 in den USA auf den Markt kam, wußten selbst die hartgesottenen Verkäufer der Firma Searle, daß sie etwas Unheimliches in die Welt setzten: „Wir bewegen uns auf völlig unerforschtem Gebiet in der öffentlichen Meinung.“ Ihre Konkurrenzfirma hielt die „starke Droge für völlig gesunde Frauen“ sogar ganz zurück. Auch der Pharmakonzern Schering zögerte, bevor er das Arzneimittel Anovlar im Nachkriegsdeutschland einführte. Der Stern schrieb damals: „Der 1. Juni 1961 wird vielleicht einmal ein historischer Tag genannt werden. Wir können heute schon mit Gewißheit sagen, daß an diesem Tag ein gewaltiger Schritt vorwärts getan wurde zur Lösung eines der brennendsten Probleme, das sich im Zusammenleben von Frau und Mann ergibt.“

Aus dem historischen Tag ist längst Alltag geworden: In Deutschland nehmen sie 35 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter. Aus der Pille ist ein Massenverhütungsmittel geworden: Jeden Tag schlucken sie 60 bis 80 Millionen Frauen auf der ganzen Welt. Und jetzt ist sie sogar museal: Heute eröffnet das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden eine Ausstellung über „Die Pille. Von der Lust und von der Liebe“. So heißt auch der dazugehörige Katalog, der allein das Durchblättern lohnt. Fotos aus den 60er und 70er Jahren erinnern an hochaufgeladene Diskussionen, die heute beinahe vergessen sind.

Mittlerweile ist das Verhältnis zur Pille neutral – wie zu einem Arzneimittel eben. Diskutiert werden noch die Nebenwirkungen. So wie die von einigen Mikropillen. Das Thrombose-Risiko ist bei diesen sogenannten „Pillen der dritten Generation“ doppelt so hoch wie bei anderen. Doch sie werden wegen ihrer geringen Hormonmengen weiter bedenkenlos verschrieben. Gänzlich verdammen will sie nämlich heute niemand mehr. Die Pille hat sich etabliert.

Sie ist zahm geworden, weil sie unterschätzt wird. Barbara Duden, Autorin des Buches „Der Frauenleib als öffentlicher Ort“, schreibt im Ausstellungskatalog: „In der Vernachlässigung des epochalen Symbolwertes der Pille zeigt sich die Unterbewertung des Frauenkörpers.“ Hakenkreuz, Hiroshima, Transistor, PC, TV und Aids seien auf ihren Symbolgehalt untersucht worden – die Pille nur auf ihre Funktionsweise. Dabei hat die Pille keine Ahnen. Wenn eine Frau zwischen Kondom und Hormon wählt, wählt sie zwischen Objekten aus zwei Epochen. Das eine ist Instrument und das andere ein chemischer Befehl an den eigenen Körper. Das Kondom hindert den Samen daran, an seinen „natürlichen“ Ort zu gelangen. Die Pille dagegen unterdrückt eine „natürliche Funktion“ im Körper. Die Körperhistorikerin Barbara Duden nennt es postinstrumentell, „das Zeitalter, das andere postindustriell oder postmodern nennen“. Ein Zeitalter, in dem es alltäglich geworden ist, sich selbst zu regulieren.

Die Pille hat Sex ohne Fruchtbarkeit möglich gemacht. Und selbst das ist bereits übertroffen worden: Mittlerweile macht man Retortenbabies durch Fruchtbarkeit ohne Sex. Doch als der deutsche Physiologe Ludwig Haberlandt in den 20er Jahren zum ersten Mal die Idee hatte, durch Hormone eine Schwangerschaft bei Frauen vorzutäuschen, dadurch den Eisprung zu verhindern und die Frau eine Zeitlang unfruchtbar zu machen, war das noch ein unerhörter Eingriff in natürliche Körpervorgänge, den sogar er selbst „hormonelle Sterilisierung“ nannte. Das war in der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik, als illegale Abtreibungen sprunghaft anstiegen und jedes Jahr 5.000 Frauen daran starben. Damals entstand eine so breite Bewegung gegen den Paragraphen 218 wie danach nie wieder. Haberlandt dachte aber nur in zweiter Linie an Familienplanung, sein eigentliches Ziel war es, ein Mittel für eine eugenische Bevölkerungspolitik zu schaffen. „Mehr denn je wäre in den jetzigen Zeiten die Vermeidung einer minderwertigen Nachkommenschaft anzustreben“, schrieb er 1921. Das war der Ursprung der Pille.

Die Verhütungsforschung endete mit dem Nationalsozialismus, denn „deutsche Frauen“ sollten gebären. Der Nachwuchs von „unerwünschten Rassen“ hingegen sollte verhindert werden. Vor allem durch Zwangssterilisationen. Die Hormonforscher experimentierten jetzt in Konzentrationslagern mit Frauen an möglichst effektiven Methoden der Sterilisation.

Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde tatsächlich die Entwicklung von Pille und Spirale in den USA vorangetrieben. Nun setzten Wissenschaftler die Idee der „Bevölkerungsexplosion“ in die Welt. Nicht die Armut sollte bekämpft werden, sondern die Armen. Das bewegte die Konkret- Kolumnistin Ulrike Meinhof sogar dazu, den Papst gegen Rudolf Augstein zu verteidigen: „Londoner Times und Daily Telegraph, Augstein und Sibylle, FDP, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung – all ihrer Weisheit letzter Schluß gegen den Hunger in der Welt ist die Pille. Wohl weil sie das Enthaltsamkeitsgebot des Papstes für sich selbst nicht akzeptieren können, begreifen sie nicht, was sie sagen.“ Das schrieb Meinhof 1968, kurz nachdem der Papst in seinem Lehrschreiben „Humanae vitae“ jede Form der Verhütung außer der „natürlichen“ Zeitwahlmethode verboten hatte.

Kein Wunder, daß die „Väter der Pille“, Gregory Pincus und John Rock, sie fünf Jahre lang an 700 puertoricanischen Frauen testeten. Die USA fürchteten eine massenhafte Einwanderung aus ihrem neuen 51. Bundesstaat.

In Deutschland kam die Pille dann so verschämt auf den Markt, wie die 60er Jahre waren: Anovlar gab es als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden, die empfängnisverhütende Wirkung stand auf dem Beipackzettel unter den „Nebenwirkungen“. Nur verheiratete Frauen mit mindestens zwei Kindern sollten sie verschrieben bekommen. Es war ein hilfloser Versuch, die herrschende Sexualmoral aufrechtzuerhalten, die Ende der 60er Jahre doch völlig zusammenbrach. Dabei spielte die Pille ein entscheidende Rolle. Vor allem nahm sie Frauen die Angst vor ungewollten Schwangerschaften. Die Männer wiederum verloren ihre alte Furcht, daß sich eine Frau nur auf sie einließ, weil sie auf ein Kind aus war, geheiratet und versorgt werden wollte. „Eine intelligente (schöne) Geliebte war die Utopie“, schreibt Klaus Theweleit im ersten Aufsatz des Katalogs, „Frauen, die nicht mit Ehegerede zu erobern waren.“ Gleichzeitig wurde auch denkbar, daß eine Frau den Mann nach einer Liebesnacht einfach fallenließ. „She acts like we never have met“, klagt Bob Dylan im Jahr 1964 über die Geliebte der letzten Nacht, die ihn nicht mehr kennen will am Morgen danach.

Die Frauen begrüßten die Pille als Befreiung von illegalen Abtreibungen und Mußheiraten. Zwischen 1959 und 1964 heiratete die Hälfte der Frauen in Deutschland, weil ein Kind unterwegs war. Und obwohl die Pille frei machte, machte sie nicht mehr Lust. Das lag vor allem an den Männern. „Es ist heute nicht mehr zu entscheiden, ob das Unbehagen an der Pille oder Unzufriedenheit mit der männlichen Sexualität zuerst da war“, schreibt Barbara Sichtermann in ihrem Beitrag über die Pille und die Frauenbewegung. Und um das zu klären, hätte es doch auch ein Kondom getan.

Die Österreicherin K. erzählte Gabriele Goettle in einem im Katalog abgedruckten Gespräch: „Solange ich mit meinem Freund zusammenlebte, haben wir uns nicht nur Miete und Essen, sondern auch die Kosten für die Pille geteilt. Wie ich dann eine ehebrecherische – besser gesagt, eine das eheähnliche Verhältnis brechende Beziehung hatte, kam das prompt aufs Tapet, daß er den sorglosen Beischlaf eines anderen Mannes mit mir auch noch mitfinanzieren soll. Es hat nicht viel gefehlt, und er hätte sein Geld zurückverlangt.“

Die Frauenbewegung wandte sich von Pille und Männern ab und den eigenen Körpern zu. 1973 fand die erste öffentliche Vagina-Untersuchung in Berlin statt. Aus der Forderung nach „selbstbestimmter Verhütung in Frauenhand“ entwickelte sich eine Frauengesundheitsbewegung auf den Grundlagen alternativer Medizin.

Und heute? Etwa 7 Millionen Frauen in Deutschland nehmen die Pille. Die Zahl ist nicht einmal durch Aids zurückgegangen. Kondome werden zusätzlich benutzt. Die meisten jungen Frauen lassen sich die Pille selbstverständlich bis begierig verschreiben. „Die Pille fungiert als eine Art Reifezeichen“, meint Cornelia Helfferich, die Jugendliche befragte. Deren Haltung zur Pille schwankt zwischen „wie praktisch“ und „zu bequem“. Die letzteren sind eine Minderheit. Sie wollen mit ihrem Partner verhandeln und über Sexualität und Verhütung diskutieren. So etwas Abstraktes wie die Praktiken von Pharmaindustrie und Gynäkologie, das Verhältnis der Geschlechter und die Ordnung der Sexualität spricht aber fast keine der Frauen an.

Die Pille hat ihre Unschuld bewahrt.

„Es ist besser, eine Fliege zu töten, als eine Frau zu lieben“ (Mao anläßlich der

Bevölkerungsexplosion in China)

Die Ausstellung „Die Pille. Von der Lust und von der Liebe“ läuft bis Ende des Jahres.

Der Ausstellungskatalog von Gisela Staupe und Lisa Vieth ist im Rowohlt Berlin Verlag erschienen, 224 Seiten, 28 DM.