Das Schweigen der Schäfchen

■ Der Papst wird in Berlin nur auf jubelnde Gläubige und demonstrierende Kirchengegner treffen. Die innerkirchliche Opposition in der Stadt dagegen liegt im Winterschlaf

Wenn Johannes Paul II. durch Berlin rollt, wird er aus dem Papamobil nur jubelnde Gläubige sehen. Höchstens wird ihm am Brandenburger Tor von fern die Gegenpäpstin der antiklerikalen Demonstration zuwinken. Doch Kritik am Oberhaupt der katholischen Kirche wird es von seinen eigenen Schäfchen nicht geben: Die innerkirchliche Opposition wird den Papst mit ihren Forderungen nach einer menschlicheren Kirche nicht behelligen. Denn von der Berliner „Kirche von unten“ ist kaum etwas übriggeblieben.

Das war einmal ganz anders. Auf den Katholikentagen 1980 und 1990 in Berlin forderte die kathoische Basis von ihren Hirten Reformen: Gleichberechtigung der Frauen, Abschaffung des Eheverbots für Priester, Abrücken von starren Machtstrukturen, behutsamer Umgang mit Querdenkern standen auf der Tagesordnung der „Initative Kirche von unten“ (IKVU). Anlaß für die Kritik war der Marsch des polnischen Papstes zurück in die autoritäre Vergangenheit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das Ende der sechziger Jahre die behutsame Modernisierung der katholischen Kirche eingeleitet hatte. Der Papst und die Marschrichtung sind geblieben – verschwunden ist die Opposition.

Denn das Bild der kirchlichen Ökopaxe bei den Katholikentagen trog: Hier versammelten sich nicht die rebellischen Berliner KatholikInnen, sondern die Kirchenkritiker aus ganz Deutschland. Deren Organisationen treffen sich in der Woche vor der Papst-Visite in Paderborn zu einer Aktionswoche. In Berlin, heißt es aus der IKVU, „kann man sich mit den paar Hanseln, die mitprotestieren würden, doch nur blamieren“. Zu konservativ sind die 350.000 Berliner KatholikInnen, die sich in der Minderheitenposition eingerichtet haben, für einen lebendigen Protest. Und 18 Jahre innerkirchliches Rollback unter Johannes Paul II. haben eine gesamte Generation kritischer KatholikInnen aus den Kirchen getrieben.

Dabei gab es noch im letzten Jahr Hoffnung auf Aufruhr: Tausende KatholikInnen unterzeichneten auch in Berlin das bundesweite „Kirchenvolksbegehren“. Dessen Ziele waren die gleichen wie die der IKVU vor 15 Jahren: Aufbau einer „geschwisterlichen Kirche“, volle Gleichberechtigung der Frauen, Eheerlaubnis für Priester und eine positive Bewertung der Sexualität. Von diesem Aufbruch wird unter den BesucherInnen beim Papst-Gottesdienst nichts zu spüren sein. Offenen Protest mit Plakaten oder durch T-Shirts mit dem vorsichtig-kritischen Motto des Kirchenvolksbegehrens „Wir sind Kirche“ wird es kaum geben, meint Josef Grünwald von den „Kritischen Katholiken“. Geplant ist dagegen nur eine Podiumsdiskussion mit dem Theologen und Papst-Gegner Hans Küng eine Woche vor dem Besuch und ein ökumenischer Gottesdienst am 23.Juni.

Da bieten die Kirchengegner vom Bündnis gegen den Papstbesuch aus Humanistischer Union, Teilen der Grünen und vielen Einzelpersonen ganz anderes Programm: Vor dem Besuch soll es Filme und Diskussionen über den Papst und die Rolle der Kirche u.a. in der Nazizeit geben. Am Besuchstag selbst soll vom parallel stattfindenden schwul-lesbischen Straßenfest am Nollendorfplatz ein Demonstrationszug mit einer oder mehreren GegenpäpstInnen in Richtung Papst am Brandenburger Tor ziehen.

Ein Bündnis mit eben diesen antiklerikalen Demonstranten scheut die kirchliche Opposition wie der Teufel das Weihwasser. „Wir wollen einen solchen Rabatz nicht mitmachen“, meint Johannes Fleischbein, Berliner Vertreter des „Kirchenvolksbegehrens“. Für ihn ist die Seligsprechung zweier Priester, die von den Nazis ermordet wurden, ein „Ärgernis, mit dem die Rolle der Kirche im Dritten Reich vertuscht werden soll“. Der Papst solle seine „Show ohne uns abziehen“, meint Fleischbein. „Der Mann ist für uns Luft.“ Ähnliches sagt Brigitte Loga von der IKVU: „Der Papst ist uns nicht mehr wichtig genug für Proteste. Wir kümmern uns um Menschenrechte oder Umweltfragen.“

Auch in den Berliner Basisgruppen herrscht Ruhe. Die „Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen“ besteht nur noch aus zwei Paaren, die kaum etwas miteinander und eigentlich nichts mehr mit der IKVU zu tun haben. Und auch der traditionell aufmüpfige Jugendverband BDKJ wird sich zum Besuch seines obersten Chefs nicht äußern. „Wir sind uns in der Bewertung des Besuchs nicht einig“, meint die Vorsitzende Sibylle Klähr. „Ich wundere mich nur, daß soviele Jugendliche da hingehen wollen.“ Von anderer Seite heißt es, der Frust sei zu groß und die Abstrafung durch die Kirchenhierarchie hänge als Damoklesschwert über allen, die in der Kirche arbeiteten: „Den Papst erreicht man mit solchen Protesten sowieso nicht“, heißt es, „dafür kann man sich dadurch mit der Berliner Bistumsbürokratie jede Menge Ärger einhandeln.“ Bernhard Pötter