Rezession, Baby!

Nackt-HipHop zu Ehren des Papstes oder Rock mit keltischem Blechschmuck – in Freiburg gingen am Sonntag die EuroPopDays 96 zu Ende  ■ Von Thomas Groß

Thank god – it's Freiburg“, haben bei der Premiere im Vorjahr einige Fachblätter Englands den Event kommentiert – was aber zum einen in der Zügellosigkeit erster Euphorie formuliert war; die britische Neigung zum Wortspiel kennt man ja. Nicht unbedingt das, was in Südbaden bevorzugt kultiviert wird.

EuroPopDays Freiburg, die zweite – ein Spektakel auf Bewährung: Flächendeckend und zielgruppenorientiert, aber im Vergleich zur SC-Berichterstattung absolut unbegeistert, hebt die mitsponsernde Lokalpresse den (am Sonntag zu Ende gegangenen) „viertägigen Musikmarathon“ ins Blatt; Politiker ringen um gemessene Worte, aber allzuweit vorpreschen mag vorab keiner. Rezession, Baby! Köln mit seiner Pop Komm ist übermächtig, Berlin mit den Independance Days bereits abgeschifft, die Midem in Cannes gibt's auch noch – wo soll da die Lücke sein für eine weitere Musikmesse? „Europa“? Gewiß, aber weiß man's zu sagen, wie's mit dem Euro-Gedanken noch mal rumgehen wird...

Projektleiterin – so nennt sich der undankbare Posten direkt unter „Chief Executive Officer“ Reinhard Stephan, der gleichzeitig Geschäftsführer der „Jazz- und Rockschule Freiburg“ ist, die wiederum in enger Beziehung zu den Financiers steht... Projektleiterin Ute Krystof also kann einem leid tun, muß sie doch nicht nur die Skeptiker professionell überzeugen, sondern auch ein Haushaltsdefizit von 300.000 Mark im letzten Jahr vertreten.

Tapfer weist sie auf ein gestrafftes Konzept sowie erste Resultate hin: „Zwischen zehn und zwanzig“ der „unsigned“ (plattenvertragslosen) Bands, um die es in Freiburg bevorzugt geht, seien inzwischen fest untergekommen, darunter die heuer schwer begehrten Fool's Garden – sage keiner, Erfolg sei nicht in Zahlen meßbar!

Muß trotzdem bitter sein, daß alle Offiziellen gern Schirmherren sein wollen, aber die wenigsten Geldgeber. Die Söhne aus Freiburgs Geldadel, die die EuroPop zusammen mit einigen Schulfreunden initiiert haben, seien, so heißt es, bereits ein wenig verstimmt, aber mit Glück, Glanz, Ruhm und Stadtratsposten ist auf diesem Wege so schnell kaum zu rechnen.

Es ist mehr die Stunde der lokalpolitischen Schwurformeln: Fritz- „Seggs, Draggs & Rogg 'n' Roll“- Rau, nordbadischer Altmeister unter Deutschlands Konzertveranstaltern, lobt die Messe im Katalog etwas lübkehaft als „erfreuliches und notwendiges Ereignis für Künstler, vor allem für den Nachwuchs“. Wirtschaftsminister und Wahlverlierer Dieter Spöri von der SPD (der immerhin 130.000 Mark zugeschossen hat) sieht ein enormes „Nachfragepotential“ am Werk.

Und Oberbürgermeister Böhme nutzt die Eröffnungsveranstaltung in der gerade erst fertig gewordenen Venue „E-Werk“ (keine Stadt mehr ohne „E-Werk“ – das ist wie früher mit den Hallenbädern), um kostenfrei auf Freiburg als „Medienstandort“ und „Musikstadt in der Popszene“ hinzuweisen – alles „abgesunkene“, verholperte Varianten des medialen Beeindruckungs-Neusprech, wie es Pop-Komm-Organisator Dieter Gorny so souverän zu generieren wußte, bevor er als Geschäftsführer zu Viva ging.

Einen derart wuchtigen Visionär haben die Freiburger nicht in ihren Reihen, und vor der uncharmanten Stadthalle, die den Kongreß- und Ausstellungsteil der EuroPopDay beherbergt, geht es gelinde gesagt übersichtlich zu. Die Panels sind schlecht besucht, junge Talente mühen sich in einem Extratrakt nahezu publikumsfrei um Aufmerksamkeit, aber immerhin: Ein Blick auf den Messeparcours zeigt, daß die Zahl von 150 Ständen vom Vorjahr wohl zumindest nicht unterschritten wird, und wem das eigene Planquadrat zu teuer ist, kann für unter 100 Mark als freier Kommunikator durch die Gänge streifen.

An die großen Formeln glaubt man in den kleinen Klitschen ohnehin nur bedingt bzw. übersetzt sie sich auf seinen eigenen Erfahrungshorizont hin. „Alternative Music Market“ (Untertitel) = vom größeren Erfolg leider ausgeschlossen, „geographische und kulturelle Nähe zu den Nachbarländern Schweiz und Frankreich“ geht als regionale Schwundform des Euro-Geredes durch, und „selbst an neuen Netzwerken stricken“ (Ute Krystof) als Deckformel für die Tatsache, daß im Musikbusineß ohne Socialising und Seilschaftsbildung noch weniger geht als in anderen Branchen.

Socialising funktioniert aber nur in Verbindung mit Glamour wirklich gut, und Glamour kann nur entstehen, wenn nicht zu viel Unversöhnliches zu hart auf zu kleinem Raum miteinander kollidiert. Wie in Freiburg zum Beispiel: die „besten gregorianischen Gesänge zu Ehren Johannes Paul II.“ mit radikalem Nackt-HipHop (auf Rollschuhen!) von der Stuttgarter Formation Hyperactive, Rock aus Dänemark und dem Elsaß mit keltischem Blechschmuck, vereinzelte Hipsteranzüge und erlesene Clubwear mit „Träumen der Klassik“ oder „Sinfonima – Versicherungsschutz nach Noten“. Das versendet sich dann nicht mehr.

Auch die Talentscouts mag der Eindruck eines Kunsthandwerkermarkts nicht günstig stimmen, so sie als solche zu erkennen sind. Ist es der da mit der Sonnenbrille? Oder die da in schwarzem Leder?

Nein, es sind eher Herren in Jeanshemd und Bart, die sich auf einem „Demo-Marathon“ unterhalb der Gastro-Area outen. Wie die Jünger beim Abendmahl sitzen sie zur Rechten eines Plattenspielers, der 30sekündige Klangbeispiele angereister Bands zuspielt. „Groovt wie die Sau“, sagen sie knapp zu den nervösen Musikern hin, oder: „Isch würd da gern ma'n Band von habbm“, auf welches Signal hin jemand aufspringt und dem Stapel von Kassetten auf dem Tisch eine weitere hinzufügt, bevor der Mann an der Technik wieder die Taste drückt: „Okay, und jetzt Orange Crush aus Darmstadt...“

Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, der für dieses verlängerte Messen-Wochenende den Tag weniger loben mag als den Abend, wo in sieben fußläufig gelegenen Clubs die Möglichkeit bestand, sich Musikeindrücke live, diskursfrei, außerdem im Package (Länder- und Themenschwerpunkte) und Partyrahmen zu verschaffen. Freiburger Nächte sind lang!

Wer ausnahmsweise nichts entdecken will, weder Guitars 2000 noch European Soulpower 96 noch Groove Explosion oder The next Generation of Jazz, nicht Ungezeichnete aus Frankreich, Spanien, England noch der Schweiz, kann sich immerhin an die paar halbetablierten Acts wie Menelik, Hugo Race und die Holmes Brothers halten oder bei den „Gralshütern des Underground“ von Spex vorbeischauen, die mit ihrer Easy- Hanging-Low-Fi-Wanderausstellung das schwankende Fähnlein der Clubkultur hochhielten.

Den maroden Independent- Begriff, von dem die EuroPopDays zehren, wird allerdings auch das kaum retten, und selbst wenn der abschließende Publikumstag dem Messeparcours noch etwas regeren Zulauf verschaffte: der Mythos von Spielfreude und Dreieckland, von unabhängiger Produktion und völkerverbindendem Battle of The Bands wurde auch am vergangenen Wochenende vom SC Freiburg glaubwürdiger und vor allem publikumskompatibler verkörpert:

2:1 gegen Bayer Leverkusen, das schallte immerhin eindrucksvoll vom nahe gelegenen Dreisamstadion herüber. Schade, daß es zu einen UEFA-Pokal-Platz nicht mehr reichen wird.