„Krank und krank ist nicht das gleiche“

Nicht einmal ein Drittel aller Beamten erreicht das Pensionsalter. Unlust, Psychische Probleme, Krankheit und Bevormundung treibt viele in den Vorruhestand. Nur die Richter bleiben bis zum Schluß  ■ Von Barbara Bollwahn

Karl Busche* hatte keine Lust mehr. Jeden Tag die ewig gleichen grauen Gesichter von Antragstellern. Jeden morgen der triste endlose Flur. Busche, nicht mal 50 Jahre alt, raffte eines Tages seine ihm verbliebene Kraft zusammen und ging zum Amtsarzt. Dort machte er einen „auf Magen und Psycho“. Ein Kinderspiel, wie er sich erinnert. Nicht mal zehn Minuten habe die ärztliche Kontrolle im Auftrag seines Dienstherrn, den er aus verständlichen Gründen nicht nennen will, gedauert. Seitdem genießt Busche seinen frühen Lebensabend mit 75 Prozent seines Gehalts.

Immer mehr Beamte scheiden weit vor Erreichen des Pensionsalters aus dem Berufsleben aus. Nach Angaben des Rechnungshofes erreicht nicht einmal ein Drittel der Lehrer, Polizisten und Verwaltungsmitarbeiter die Altersgrenze von 65 Jahren. So haben im zweiten Halbjahr 1994 von 838 ausgeschiedenen Beamten gerade einmal 271 ihren 65. Geburtstag im Büro gefeiert. Von den 442, die wegen Dienstunfähigkeit ausschieden, war fast ein Drittel jünger als 50 Jahre.

Auch nach Überzeugung von Erdmute Safranski von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind es „recht wenig Lehrer, die friedlich und ruhig die Pensionsgrenze erreichen“. Das sei aber in erster Linie auf „ernsthafte Krankheiten“ zurückzuführen, betont sie. Wie bei anderen Berufsgruppen gäbe es natürlich auch unter der Lehrerschaft Fälle von Mißbrauch. Doch dies seien „Einzelfälle“. „Wer auf Psychomacke macht, hat die dann auch“, meint Safranski. Ein „hoher physischer und nervlicher Verschleiß“ liege in der Natur des Lehrerberufs. „Ich kann mir keinen vorstellen, dem es gutgeht und der auf Frühpension macht.“

Wie krank die vorzeitig ausscheidenden Pauker nun wirklich sind, weiß keiner. Nach Angaben der Senatsschulverwaltung jedenfalls erreichen nur wenige das Pensionsalter. So sind im Zeitraum Oktober 1994 bis Oktober 1995 216 Lehrer wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden. Ihr Durchschnittsalter: 52 Jahre. Im Jahr zuvor waren es etwa fünfzig Pauker mehr.

Bei den Polizisten liegt der Verschleiß ebenfalls vergleichsweise hoch. So sind seit 1993 365 Polizisten vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Doch genauere Angaben über Gründe und Alter will die Polizei nicht machen. Teja Kleinert vom Landespolizeiverwaltungsamt jedenfalls betont, daß die meisten wegen „erheblicher Schädigungen“ ausgeschieden seien. Auch Klaus Eisenreich, Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei, bezeichnet die in letzter Zeit bekanntgewordenen Fälle von zwei jungen Polizeibeamten, die wegen Lappalien aus dem Dienst ausgeschieden sind, als „Einzelfälle“: „Dagegen muß man massiv vorgehen.“ Ein viel größeres Problem sieht der Geschäftsführer bei den Kollegen, die aufgrund von Krankheit oder Unfällen in die Verwaltung versetzt werden müssen. Bei den vorgegebenen Stelleneinsparungen sei das „nicht ohne weiteres möglich“.

In der Tat wäre es billiger, solche Beamte gleich in Frührente zu schicken. „Die Pensionszahlungen sind geringer, als wenn der Beamte bis zum Ende arbeitet“, so Horst Grysczyk, Präsident des Rechnungshofes. Besetzt man jedoch eine durch Frühpension freigewordene Stelle wieder, führe das zu einer „erheblichen zusätzlichen Belastung für den Haushalt“.

Peter Zimmermann vom Rechnungshof glaubt, daß zu viele Vorschriften am Arbeitsplatz den Job oftmals so stupide machten, daß sich nicht wenige in Krankheiten flüchten. Seine These, daß größere Selbständigkeit die Freude an der Arbeit bis zum Rentenalter aufrechterhalte, bestätigen die Richter. Von ihnen gehen nach Angaben von Georg Härpfer vom Deutschen Beamtenbund 98 Prozent mit 65 Jahren in Rente. „Die zwei Prozent, die vorher ausscheiden, sind bestimmt krank“, so Härpfer.

Härpfer ist „entsetzt“, daß in anderen Berufsgruppen „von zehn Ruheständlern fast die Hälfte jünger als fünfzig Jahre“ ist. Seit zwei Jahren beobachtet er einen „verstärkten Vorruhestand“ bei Finanzbeamten des mittleren Dienstes. „Krank und krank ist nicht das gleiche“, so Härpfer. Die Schilderung von Frühpensionär Busche, der nach nur wenigen Minuten das „Amen“ des Amtsarztes in der Tasche hatte, kann Härpfer bestätigen: „Bei einigen Ärzten ist das relativ leicht, bei anderen schwierig.“

Auch Edeltraud Protzen vom amts- und vertrauensärztlichen Dienst in Wilmersdorf weiß, daß „nicht jeder, der sich dafür hält, auch wirklich dienstunfähig ist“. Mit einem persönlichen Gespräch, einer körperlichen Untersuchung und eventuellen Zusatzuntersuchungen versuchen die Amtsärzte, den Weizen von der Spreu zu trennen und den Dienstherren mit ihrer Beurteilung eine „Entscheidungshilfe“ zu geben.

Als typische Symptome für Dienstunfähigkeit nennt die Ärztin Herzinfarkt ohne Operationsmöglichkeiten und damit verbundene dauernde Ausfälle, psychischen Streß, Atemnot, schwere Wirbelsäulenleiden, Schlaganfälle, die die Beweglichkeit und das Sprechvermögen einschränken. Daß die zu untersuchenden Beamten immer jünger werden, bestätigt Protzen. Sie führt dies auf „den zunehmenden Streß“ zurück. So könnten riesige Aktenberge auf dem Tisch eines Beamten den gleichen Streß verursachen wie ihn ein Lehrer im Schulzimmer habe.

Auch wenn die Zahl der Versorgungsempfänger in den letzten zehn Jahren leicht rückläufig ist, haben sich die Versorgungsausgaben nach Angaben des Rechnungshofes zwischen 1961 bis 1994 fast versiebenfacht. Wurden damals gerade einmal 232 Millionen Mark jährlich gezahlt, waren es im vergangenen Jahr fast 1,6 Milliarden Mark. Für die kommenden Jahre wird ein lawinenhafter Anstieg von Pensionsansprüchen erwartet. So werden im ersten Jahrzehnt nach 2000 mehr als 20.000 Beamte und Richter in den Ruhestand treten. Bereits vor dem Jahr 2005 rechnet der Rechnungshof mit einer Erhöhung der Versorgungsausgaben um etwa 450 Millionen Mark jährlich.

* Name von der Red. geändert