Doktor Blüm schreibt Ärzte krank

■ Das Arbeitsministerium rät: Ärzten, die häufig krank schreiben, soll Berechtigung, gelbe Scheine auszustellen, zeitweise entzogen werden. Berliner Ärztekammerpräsident: „Paranoide Phantasmen vereinsamter Politiker“

Berlin (taz) – Die Bonner Sozialpolitik hat sich ein neues Opfer ausgeguckt – die Ärzteschaft. Sollte Gesetz werden, was sich namenlose Personen im Bundesarbeitsministerium ausgedacht haben, dann werden künftig jene Ärzte diskreditiert, „deren Krankschreibungspraxis zu beanstanden ist“. Diese Worte stammen aus einem Papier des Blümschen Bundesarbeitsministeriums (BMA) unter der Überschrift „Mißbrauchsbekämpfung Arbeitsunfähigkeit“. Gedacht ist an folgendes: Ärzten, die zu viele Krankschreibungen ausstellen, soll vorübergehend die „Berechtigung, Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen“, entzogen werden.

Arbeitgeber sollen künftig direkt von den medizinischen Diensten die Krankschreibung ihrer Arbeitnehmer überprüfen lassen können. Außerdem ist vorgesehen, die Krankenkassen zu verpflichten, einen Prozentsatz der wöchentlichen Krankschreibungen zur Prüfung an den medizinischen Dienst weiterzuleiten.

Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) wollte diesen Entwurf zum Sozialpaket der Regierungskoalition gestern nicht kommentieren. Auch seine Pressestelle war nicht gewillt, den oder die Verantwortlichen zum Zwecke eines Gesprächs zu nennen. Geäußert haben sich dann andere. „Es wird immer verrückter, das erinnert eher an eine Bananenrepublik als an einen demokratischen Rechtsstaat“, meinte Rudolf Dreßler, Sozialexperte der SPD.

„Solche Ansinnen sind paranoide Phantasmen von vereinsamten Politikern, die Gesetze gebären, die mit der Bevölkerung nichts zu tun haben“, sagte der Vorsitzende der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, gegenüber der taz. Sein Vorschlag: „Wir Ärzte sind bereit, der Kollektivneurose in Bonn therapeutisch zu Leibe zu rücken. Wir sind aber nicht bereit, unsere Aufgabe zu verraten.“ Letztlich, so Huber, seien solche Vorschläge nichts anderes als der Ausdruck einer brutalen Entsolidarisierung. Anstatt in die Betriebe zu gehen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, würden nun jene, die Leid zu lindern versuchten, zu Feinden gemacht. Und der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmer, meinte: So würden keine Kosten, „sondern allenfalls das zur Genesung notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eingespart“.

Der Vorschlag aus dem BMA läßt die Umsetzung des Vorschlags noch offen. Gesagt ist nicht, wie eigentlich die Überprüfung der Ärzteschaft vonstatten gehen soll. Der Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassenverbände, Herbert Rebscher, machte das Problem deutlich: „Eine fehlerhafte Krankschreibung müßte im Einzelfall nachgewiesen werden. Der überprüfende Arzt müßte dann zu der Auffassung gelangen, daß der Patient, der bei der Überprüfung vielleicht wieder wohlauf ist, auch zum Zeitpunkt der Krankschreibung gesund war. Doch kein Arzt der Welt wird sagen: Mein Kollege hat zu Unrecht krankgeschrieben.“

Als „Horrormeldung“ und „völligen Unfug“ bezeichnete der Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Erich Standfest, die Meldung aus dem BMA. Schon heute könnten die Arbeitgeber die medizinischen Dienste für Überprüfungen in Anspruch nehmen. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein denkender Mensch auf solchen Unsinn kommen kann.“ Julia Albrecht