Der Widerstand seiner Leibesfrüchte

■ Der kirgisische Romancier Tschingis Aitmatow liest aus apokalyptischen Chroniken

Für Louis Aragon war seine Erzählung Dshamilja „die schönste Liebesgeschichte der Welt“, und seit sie 1958 erschienen ist, blieb sie Tschingis Aitmatows wohl berühmtestes Werk. Nachdem sich seine Bücher meist aus der Landschaft seiner Heimat Kirgisien nährten, sprach uns der 1928 geborene Tierarzt, Redakteur, Abgeordnete und Diplomat schon in Ein Tag länger als ein Leben von kosmischer Bedrohung, und im Richtplatz von der Zerstörung der Umwelt. In seinem zuletzt erschienen Roman Das Kassandramal geht es schlicht um die Komplexität, die Grausamkeit, den Status quo globalen Daseins.

Führte Der Richtplatz in die Welt der Wölfe, gelangen wir jetzt in ein Universum der Chefredakteurs-Zimmer, Transatlantikmaschinen und Kongreßhotels. Der Futurologe Robert Bork sitzt am Fenster einer Maschine in die Vereinigten Staaten und genießt einen Moment der Stille zwischen Kongressen und Problemen, sieht einer Walformation zu, während zu Hause die Hölle ausbricht: In der Gewißheit, einen absoluten Scoop gelandet zu haben, die riesige Exklusiv-Neuigkeit, veröffentlicht die Tribune nämlich eben die Botschaft eines „kosmischen Mönches“ namens Filofej, der behauptet, es sei nun möglich, die Freude oder Abwehr eines Embryos angesichts der bevorstehenden Geburt in diese Welt nachzuweisen.

„Wenn sich bei einem keimenden Wesen so ein Widerstand zeigt, dann wird ihm von nun an, dank der von mir erarbeiteten Methoden, die Möglichkeit verliehen, sich durch Impulse vernehmen zu lassen“, erklärt der „kosmische Mönch“. „Die Impulse gehen von ihm selbst aus, und zwar mittels eines Zeichensignals, das ich Kassandramal nenne.“ Globale Unruhe bricht aus, als solche Zeichen wirklich bei Schwangeren sichtbar werden, die Bahnen der Politik werden durchkreuzt, Unruhe steigert sich zu Panik. Ein apokalyptisches Bild vom Zustand der Welt zeichnet Aitmatow hier, ein düsteres Porträt von Ängsten und Mechanismen, von Erwartungen, Hoffnungen, Macht und Verantwortung.

Aitmatows Leserschaft findet sich inzwischen wohl vorrangig im deutschsprachigen Raum und in Japan. Der Chronist ist längst Weltenbürger. Doch sein Vortrag hat immer noch die Faszination des Erzählers am Lagerfeuer seiner Heimat, eine Stärke, die bei Lesungen mitreißt. Thomas Plaichinger

Mo, 6. Mai, Einlaß 19.00 Uhr, Buchhaus Weiland, Wandsbek Quarrée