"Kein stürmisches Herumsteuern"

■ Robert Leicht, Chefredakteur der "Zeit", über den Verkauf der Wochenzeitung an die Verlagsgruppe Holtzbrinck

taz: War der Verkauf der „Zeit“ unausweichlich oder galt es nur, den letzten Willen von Gerd Bucerius zu erfüllen?

Robert Leicht: Bucerius war trotz des unbestrittenen wirtschaftlichen Erfolgs schon in den 80er Jahren überzeugt, daß ein Verlag mit nur einem Titel nicht imstande sein würde, den revolutionären Veränderungen in der Technologie und am Markt standzuhalten.

War Holtzbrinck der einzige Kandidat, nachdem Verhandlungen mit Bertelsmann seinerzeit am Kartellamt gescheitert waren?

Bucerius hat ihm jedenfalls von Anfang an vertraut, er kannte ja die Familie Holtzbrinck schon aus der Zeit, als er Anteile am „Handelsblatt“ und an der „Wirtschaftswoche“ hielt. 1989 hat er die ersten Fühler ausgestreckt, und 1993 seiner Verlagsgeschäftsführerin und späteren Testamentsvollstreckerin Hilde von Lang ein schriftliches Mandat erteilt. Vor seinem Tod war der Vertrag schon fast unterschriftsreif.

Hat „Die Zeit“ zu lange versäumt, sich zu modernisieren und sich Nebenprodukte zuzulegen?

Diversifizieren, das ist schnell aufs Papier geschrieben. Aber mit einem Produkt Erfolg zu haben, heißt noch lange nicht, daß es mit einem anderen auch funktioniert. Bucerius hat wahrscheinlich so strategisch und so pessimistisch gedacht, daß er sich sagte: Die Kapitalausstattung der „Zeit“ reicht nicht aus, andere Objekte zu entwickeln. Deshalb hatte er immer vor, sich an einen Großverlag anzulehnen.

Bucerius war ein Konservativer, ließ aber die Redaktion machen, was sie wollte, er schrieb nur seine Kolumnen. Das darf man von Holtzbrinck doch nicht erwarten – bei allen Zusicherungen, das Redaktionsstatut einzuhalten.

Ich weiß nicht, wie Sie auf die Befürchtung kommen. Es ist nicht entscheidend, ob ein Verleger konservativ denkt, sondern ob er das Bewußtsein hat, daß eine Zeitung wie unsere nur funktionieren kann, wenn die Redaktion mit der größtmöglichen Autonomie arbeitet. Ich bin vollkommen sicher, daß Holtzbrinck das zur Grundlage seines Engagements gemacht hat.

Und die Verbindungen von Holtzbrinck zu Kirch? Mit zunehmender Verflechtung der Medienhäuser hat es eine unabhängige Medienberichterstattung immer schwerer.

Von Verbandelung kann da nicht die Rede sein, das Haus Holtzbrinck gehört sich selber.

Beide Häuser sind bei Sat.1 beteiligt, Holtzbrincks Vertreter im Sat.1-Aufsichtsrat ist ein ehemaliger Kirch-Manager.

Gemeinsame Beteiligung heißt nicht, daß die beiden untereinander verbandelt sind. Das macht mir jedenfalls gar keine Sorge. Es kann schon sein, daß wir ähnlich wie mit Bucerius auch mit Holtzbrinck, Diskussionen und Kontroversen haben werden. Aber ich bin vollkommen sicher, daß wir das im Geist von Gerd Bucerius machen werden.

Gibt es schon Pläne für eine Modernisierung der „Zeit“? Holtzbrinck will ja selbst in die Geschäftsführung einsteigen.

Wir kommen beide aus Stuttgart und haben einige gemeinsame Bekannte. Ich halte ihn für vertrauenswürdig, wenn er sagt, stürmisches Herumsteuern an dem Blatt wäre nur schädlich. Er will „Die Zeit“ unbedingt als „Die Zeit“ erhalten. Er hat angekündigt, sich zunächst alles in Ruhe anzusehen. Wie alle wissen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, wird er dann außerordentlich kooperativ mit allen Mitarbeitern Gespräche führen. Dann schält sich ein gemeinsam zu vertretendes Konzept heraus.

Holtzbrinck garantiert auch den Standort Hamburg. Gilt das auch für Anzeigen und Vertrieb? Wäre es nicht logisch, das zu seiner Düsseldorfer Firma GWP zu geben, die das auch für „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“ erledigt?

Wir haben ja nur ein sehr knappes Management, davon ist ja gar nichts wegzunehmen oder zu verlagern. Aber Synergieeffekte wird es im Gesamtkonzept von Holtzbrinck selbstverständlich geben.

Die Redaktion hat ja sechs Wochen lang ein Vorkaufsrecht? Könnte es dafür eine Initiative geben?

Dem Chefredakteur steht es nicht zu, dem Redakteursausschuß vorzugreifen. Aber die Redaktion wird sicher über den Weitblick von Gerd Bucerius nachdenken. Wenn er als Milliardär nicht daran geglaubt hat, daß ein Verlagshaus mit einem einzigen Objekt überleben kann, wie sollten die Redakteure glauben, daß sie allein die Zeitung über Wasser halten können?

Ist das Überleben für Wochenzeitungen überhaupt schwieriger geworden? Sie haben in einer TV- Diskussion gesagt, Ihre eigentlichen Konkurrenten seien die Tageszeitungen, von „FAZ“ bis taz.

Das eigentliche strategische Problem ist nicht der Wettbewerb der Printmedien untereinander, sondern der mit den elektronischen Medien. Und dieser Kampf wird in den nächsten Jahren noch nicht einmal so sehr um die Leser gehen, als vielmehr um die Anzeigen. Wenn künftig Immobilien- oder Gebrauchtwagenanzeigen online abzurufen sind, wird es nicht einmal mehr für Tageszeitungen mit einem regionalem Monopol ein bequemes Polster geben.

Die „Zeit“-Auflage stagniert seit 1989. Sind 500.000 die Schallgrenze?

Keineswegs. Wir leben jetzt in der Endphase der Ära Kohl und Lafontaine. Ich glaube, daß es sehr bald wieder eine Politisierung gibt. Und langfristig entwickeln sich die Industriegesellschaften immer in Richtung auf mehr Bildung und mehr Information. Interview: Michael Rediske