„Dumme lassen sich besser regieren“

■ 30.000 StudentInnen demonstrierten gegen „Bildungsklau“. Mit den Uni-Leitungen wollte fast keiner wandern

Trotz Regenwetters ging gestern jeder fünfte Student demonstrieren. Insgesamt 30.000 waren gegen die Sparpolitik des Senats auf der Straße. Unter den Klängen von Rockmusik zogen sie vom Ernst-Reuter-Platz durch die West-City bis zum Roten Rathaus in Mitte. An der Spitze des langen Marschs der Masse forderte ein Transparent: „Den Haushalt kippen! Für eine Umverteilung von oben nach unten.“

Als sich um 11 Uhr die Menge am Ernst-Reuter-Platz versammelt hatte, nutzte FU-Präsident Johann Gerlach die Gunst des Augenblicks, zog seinen Hut ins Gesicht und marschierte los. Mit ihm zogen andere Präsidenten, Professoren und StudentInnen auf die Straße des 17. Juni. Die Asta-Aktiven wollten aber nicht auf dieser Route durch den Tiergarten, sondern mitten durch die West-Innenstadt laufen. Ihr Lautsprecherwagen fuhr deshalb dem offiziellen Demonstrationszug hinterher und rief: „Leute, kommt zurück! Macht bei unserer Demo mit!“

In den zwei Zügen sahen manche wie der Student Jan Zmarzlik „wieder die historische Zersplitterung der Linken“. Der Gegenzug, der FU-Gerlach anfangs lediglich „ein Schmunzeln“ entlocken wollte, schwoll ständig an. Am Ende zogen dann die Präsidenten nur noch mit rund 2.000 Gleichgesinnten durch den Tiergarten. Statt zu der befürchteten Zersplitterung kam es zu einem Seitenwechsel: Fast alle marschierten auf der Route des Asta. Während die Veranstalter 50.000 Teilnehmer zählten, sprach die Polizei zuerst von 3.500. Später korrigierte sie ihre Zahlen auf 30.000.

Veterinärmediziner demonstrierten im weißen Kittel. Große Transparente aus ihrer Mitte attestierten Diepgen und Co. „Rinderwahnsinn“. Ein anderes Plakat unterstellte als Absicht des Bildungsklaus: „Dumme lassen sich besser regieren.“ Die Stimmung unter den Teilnehmern war gut: Manche tranken Sekt, andere Wein oder Bier. Sie erfreuten sich an Musik aus den Boxen des Lautsprecherwagens und hatten offenbar eine diebische Freude daran, den Uni- Chefs mit ihrem alternativen Zug ein Schnippchen geschlagen zu haben. Wiederholt praktizierten die gutgelaunten Aufmüpfigen die La- ola-Welle. Als sie am Ku'damm ankamen, schlugen sie ohrenbetäubenden Lärm, wedelten mit Rätschen und ließen durch ihre Trillerpfeifen heftig Dampf ab. Das KaDeWe hatte aus Vorsicht schon mal die Rolläden heruntergelassen, und Polizeibusse schützten zusätzlich die Schaufenster. Die gleichen Schutzmaßnahmen waren vor dem Bürogebäude des Bundestages Unter den Linden zu sehen. Manche Studenten liefen mit Sammelbüchsen durch die Straßen und baten Passanten um eine Spende für den Senat.

Anlaß der Studentenproteste sind Kürzungsvorhaben des Senats. So soll die Zahl der Studienplätze von 115.000 auf 85.000 abgebaut werden. Ab kommenden Winter müssen Studierende 100 Mark „Verwaltungsgebühr“ pro Semester bezahlen. Das Bundeskabinett plant außerdem, das bisher zinslose Bafög zu verzinsen. Schließlich sollen Studiengänge dichtgemacht werden, ohne die Hochschulen an der Entscheidung zu beteiligen. Allein der Zuschuß von Landesmitteln für Lehre und Forschung an den drei Unikliniken soll um mindestens 90 Millionen Mark gekürzt werden.

Studentenvertreter wie Stefan Pribnow vom Aktionsrat der FU unterstrichen den Vorbildcharakter des Berliner Protestes. „Wenn der Bildungsklau in dieser Stadt durchgeht, dann geht er auch in jeder anderen Stadt durch. Wie man in Frankreich auf Paris und in England auf London guckt, so schaut man in Deutschland auf Berlin“, so Pribnow. Die Forderungen, für die die Unileitungen auf die Straße gegangen sind, erweiterten die Studenten noch. Ihnen gehe es nicht nur darum, Sparmaßnahmen abzuwenden, sondern auch um eine Beteiligung an Forschung und Lehre. Immer wieder attackierten Redner auch den Katalog der Sozialkürzungen der Regierung.

Objekt der Kritik auf den meisten Transparenten und Plakaten war Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU). Er habe in letzter Zeit öffentlich das Klischee vom faulen und sozialschmarotzenden Studenten verbreitet, so eine Lautsprecherdurchsage. Ein Redner skandierte: „Radunski, laß das Sparen – sonst kommen wir in Scharen! Wir weichen keinen Meter – vor dem Schwarzen Peter.“

Auf der Abschlußkundgebung vor dem Roten Rathaus warf der FU-Präsident den Politikern vor, die Berliner Hochschulen zu „Flachschulen“ zu machen. Humboldt-Präsidentin Dürkop sagte: „Wir wollen uns nicht länger der Teile-und-herrsche!-Politik des Senats beugen.“ Markus Grill