■ Mit dem Lastenausgleich aus der Krise?
: Am Kern weit vorbei

Nach wochenlangem, monotonem Wechselspiel zwischen öffentlichen Forderungen nach harten Schnitten einerseits und der Ausrufung absoluter Tabuzonen andererseits bot die Spar- und Reformdebatte gestern endlich zwei Nachrichten mit Neuigkeitswert: Im laufenden Jahr verzichten die Abgeordneten auf die Diätenerhöhung. Und SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping will seine Partei auf einen Lastenausgleich festlegen, der große Vermögen um insgesamt 350 Milliarden Mark erleichtert.

Die neue Bescheidenheit bei den Diäten gehorcht dem Gesetz der Psychologie in der Krise: Wer gerade laut darüber nachdenkt, anderen Hungerkuren zuzumuten, sollte sich selbst nicht noch mehr Braten auflegen. Nach dem Motto „Sie trinken Wein und predigen Wasser“ drohten Sparappelle aus dem Bundestag jede Überzeugungskraft zu verlieren.

Während dem Diätenschnitt also hauptsächlich symbolische Bedeutung beikommt, beansprucht Scharpings neuer Vorschlag einen anderen Stellenwert. Aber schon der Name des Projekts stimmt nicht: Der in den 50er Jahren installierte Lastenausgleich zielte ebenso wie 40 Jahre später Richard von Weizsäckers Vorschlag eines Ost-West-Ausgleichs auf die Überwindung einer einmaligen, historisch bedingten sozialen Schieflage, für deren Entstehung die damals politisch Handelnden nicht verantwortlich waren.

Scharpings Vorschlag suggeriert, die grundlegende strukturelle Krise sei lediglich Folge sozialer Ungerechtigkeit und deshalb mit einem einmaligen Zugriff bei den Reichen zu bewältigen. Auch wenn es in vielen Fällen – etwa bei der Benachteiligung von Familien – grobe Verstöße gegen das Gebot der sozialen Gerechtigkeit gibt: Die deutsche Gesellschaft leidet nicht am krassen Gegensatz von Arm und Reich, sondern an Unbeweglichkeit, an falscher Organisation und Überregulierung, an der dauerhaften Festschreibung irgendwann errungener Ansprüche und der Bereitschaft aller, die jeweils eigenen Ansprüche zu verteidigen.

Dagegen hilft aber kein Lastenausgleich. Dieser Krise ist nicht mit einem Schnellschuß beizukommen, sondern nur mit grundlegenden Eingriffen in die Struktur, die auf Dauer Wirkung zeigen. Diese aber wollen die Sozialdemokraten ihrer Klientel nicht zumuten. Aber erst wenn sie sich zu notwendigen Grausamkeiten bekennen, würde auch der Verweis auf die soziale Gerechtigkeit wieder einen Sinn machen – als eine Grundlage der Reform unter anderen, aber nicht als Reformersatz. Hans Monath