„Die rot-grüne Option ist kein Farbenspiel“

Welche Konturen verleiht Oskar Lafontaine der SPD? Zunächst einmal geht er mit den Grünen hart ins Gericht. Selbstgerecht seien sie und unglaubwürdig. Dennoch scheint eine rot-grüne Regierung möglich  ■ Ein Interview von Karin Nink und Hans Monath

taz: Herr Lafontaine, von dem Schwung, den Sie nach Ihrer Wahl auf dem Mannheimer Parteitag in die SPD brachten, haben sich auch viele Linke außerhalb Ihrer Partei anstecken lassen. Hat Sie das gefreut, oder war Ihnen von Anfang an klar, daß es bei der hohen Erwartung auch wieder einen Einbruch geben würde?

Oskar Lafontaine: Das hat mich natürlich gefreut, aber mir war auch klar, daß eine solche Stimmung nicht von Dauer sein würde. Ich habe in der Politik schon viele Stimmungsschwankungen erlebt.

Kommt dem Chef der SPD auch eine Führungsrolle für die deutsche Linke insgesamt zu?

Ich spreche nur für die SPD. Die ist eine linke Volkspartei. Wir haben das Ziel, die Grundpfeiler sozialdemokratischer Politik, soziale Gerechtigkeit, umweltgerechte Erneuerung der Wirtschaft und friedliche Außenpolitik, wieder zu einem Programm zu entwicklen, das Mehrheiten gewinnt.

Vor den Landtagswahlen haben Sie mehrfach davon gesprochen, daß es eine linke Mehrheit in der Bundesrepublik gebe.

Ich bin überzeugt, daß eine Reformpolitik, wie ich sie gerade definiert habe, eine Mehrheit finden kann.

Aber noch nicht hat.

Ich bin sicher, daß diese Mehrheit zu gewinnen ist, auch wenn es immer wieder aktuelle Schwankungen in der Stimmungslage gibt. Die Zustimmung zu einer Partei kann sich innerhalb weniger Monate stark verändern. Bei der Beurteilung von Wählerpotentialen darf man nicht nur von der aktuellen Stimmungslage ausgehen, sondern muß auch langfristige Trends berücksichtigen. Für eine Reformpolitik ist der Boden bereitet.

Verstehen Sie denn dann die Enttäuschung, die sich nach den vergangenen Landtagswahlen im linken Spektrum breitgemacht hat?

Ich habe den Eindruck, daß viele von falschen Erwartungen ausgegangen sind. Es war durchaus nicht selbstverständlich, daß die SPD in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, zwei ehemaligen CDU-Hochburgen, ihre Regierungsmehrheit verteidigen konnte. Hätte man das als Maßstab genommen, wäre der Jubel bei uns groß gewesen. Aber man ist von den sehr guten Wahlergebnissen der Jahre 1991 und 1992 ausgegangen und war dann enttäuscht. Hinzu kam, daß das Ergebnis in Baden-Württemberg unerwartet schlecht für uns ausfiel.

Ihre Partner für die Reformpolitik, die Bündnisgrünen, sehen so schwarz für 1998, daß einige die schwarz-grüne Option ins Gespräch bringen. Haben Sie keine Sorge, daß Ihnen auf Dauer ein Partner verlorengeht?

Das ist nichts Neues. Diese Diskussion bestätigt im übrigen nur, daß nicht jeder, der von sich behauptet, linke Reformpolitik zu vertreten, diesem Anspruch genügt. Die grüne Partei ist noch lange nicht gefestigt. Teilweise ist sie eine Einmannshow. Das Programm ist in zentralen Fragen zudem alles andere als links. Ich nenne nur drei Stichworte: militärische Intervention im Namen der Menschenrechte, Aussiedlerpolitik auf der Basis völkischen Staatsbürgerschaftsrechtes und die Senkung des Spitzensteuersatzes. Das sind keine politischen Entwürfe, die das Prädikat „linke Reformpolitik“ verdienen.

In der Aussiedlerfrage verweisen die Grünen auf die historische Verantwortung. Die Art und Weise, wie die SPD diese Kampagne im Wahlkampf geführt hat, habe den Rechten geholfen.

Die Grünen sind an dieser Stelle unglaubwürdig. Ihr Sprecher Jürgen Trittin hat schon vor Jahren mehrfach die Begrenzung des Aussiedlerzuzuges gefordert. Heute will er davon plötzlich nichts mehr wissen. Es ist also notwendig, daß die Grünen ihre Einwanderungspolitik klären. Die völkische Grundlage als Basis der Einwanderung ist ein Rückfall in überholtes, nationales Denken.

Wurde aber nicht mit der Art, wie in Baden-Württemberg die Aussiedler-Debatte geführt wurde, die Linke verprellt?

Die große Mehrheit der Konservativen in der Bundesrepublik, die sich für dieses völkische Staatsbürgerschaftsrecht engagieren, hat die Forderung nach einer Begrenzung des Aussiedlerzuzuges als Wahlkampf auf dem Rücken einer Gruppe diffamiert. Zwar war das starker Tobak, aber ich kann nicht ausschließen, das das bei einem Teil unserer Anhängerschaft zur Verunsicherung geführt hat.

Die Grünen sagen, sie hätten ihr eigenes Stimmenpotential ausgeschöpft, jetzt sei es an der SPD, eine Richtungsentscheidung zu treffen.

Die Diskussion in Nordrhein- Westfalen hat dem rot-grünen Reformprojekt, für das sich der Spitzenkandidat in Baden-Württemberg ausgesprochen hatte, erkennbaren Schaden zugefügt. Es ist an der Zeit, daß auch die Grünen das Wort „mea culpa“ lernen und ihre Selbstgerechtigkeit aufgeben.

Nur die Grünen?

Moment. Ich habe gesagt auch die Grünen.

Die Grünen sind davon überzeugt, daß sich mit einer klaren SPD-Aussage mehr Menschen gewinnen ließen. Was sagen Sie zu der Forderung nach einer Richtungsentscheidung?

Die greife ich gern auf. Deshalb ist die SPD – im Gegensatz zu den Konservativen – für ein europäisches und gegen ein völkisches Staatsbürgerschaftsrecht, wir sind gegen das Absenken des Spitzensteuersatzes in der jetzigen Zeit, und wir lehnen militärische Interventionen in aller Welt ab. In all diesen Fragen müssen die Grünen klären, in welche Richtung sie eigentlich wollen.

Die SPD hat sich für eine Entlastung des Mittelstandes ausgesprochen, genau das wollen die Grünen aber doch mit der Senkung des Spitzensteuersatzes erreichen, weil von dieser Bevölkerungsschicht und nicht von den Spitzenverdienern die meisten Steuern gezahlt würden.

Das ist einer der vielen ökonomischen Irrtümer der Grünen. Alle Untersuchungen zeigen, daß gerade der progressive Einkommensteuertarif, der mit 25,9 Prozent beginnt und mit 53 Prozent endet, dadurch ausgehöhlt wird, daß die höheren Einkommen diese Steuern gar nicht zahlen müssen dank großer Schlupflöcher und Abschreibungsmöglichkeiten.

Steuergerechtigkeit erreicht man nicht durch Übernahme von FDP-Positionen. Was wir brauchen, sind rigorose Steuervereinfachung und Absenkung des Eingangssteuersatzes.

Könnte die FDP für die SPD 1998 wieder ein Koalitionspartner in Bonn sein?

Die ständige Farbendiskussion vernebelt nur das Denken. Ich unterhalte mich lieber über konkrete politische Inhalte.

Vor den Landtagswahlen haben Sie zur Ursache der SPD-Krise im Jahr 1995 gesagt: „Wir haben zuviel zerredet und gestritten. Das hat sich geändert.“ Die Reaktionen auf die Landtagswahlen scheinen Sie Lügen zu strafen.

Nein. Die Situation hat sich verbessert, aber es kann ruhig noch besser werden.

Weil bestimmte Leute sich nicht mehr äußern?

Weil es wenig kritische Stimmen von Gewicht gibt.

Aber teilweise doch sehr widersprüchliche Stimmen, auch von prominenten Sozialdemokraten: Dreßler für Rot-Grün, Klose dagegen, Wieczorek- Zeul dafür.

Nein. Die große Mehrheit der SPD ist der Auffassung, daß Rot-Grün eine Option ist. Aber die rot-grüne Option ist kein Farbenspiel, sondern muß mit Inhalt gefüllt werden. Das heißt, im Vordergrund stehen immer konkrete politische Ziele und Projekte, nicht Personen- oder Parteienkonstellationen. Das müssen einige wieder lernen.

In Mannheim haben Sie an die SPD appelliert, die Auseinandersetzung nicht über die Medien zu führen, sondern die Einheitlichkeit hinter geschlossenen Türen herzustellen.

Wir haben klare programmatische Entscheidungen getroffen, die in den kommenden Monaten von Bedeutung sein werden. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fordern wir die Senkung der Lohnnebenkosten, den Einstieg in die ökologische Steuerreform, einen leistungsgerechten Steuertarif, Arbeitszeitverkürzung mit Hilfe von Arbeitszeitkonten und Freizeitausgleich sowie ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz.

Das sind Positionen, die die SPD mit großer Mehrheit beschlossen hat und mit denen wir in den nächsten Monaten die Debatte bestimmen werden. Dazu kommt eine Forderung, die wir jetzt mit neuem Elan vertreten müssen. Das ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Wir haben global eine Entwicklung, deren Folgen noch viel zuwenig diskutiert werden. Das Arbeitskräfteangebot wird immer größer und das Kapital immer knapper. Das führt dazu, daß wir auch in Industriestaaten stagnierende oder sinkende Realeinkommen haben und Kapitalrenditen von vier, fünf Prozent oder mehr.

In Deutschland stagnieren die Realeinkommen seit vier Jahren. Da ist es dringend geboten, diejenigen, die ihre Arbeitskraft einsetzen, an den Kapitalrenditen zu beteiligen, damit sich „Leistung wieder lohnt“. Das ist für mich eines der zentralen Projekte der politischen Linken in der Zukunft.

In der wirtschaftlichen Krise ist das Thema Ökologie nun in die Defensive geraten...

Nein, das ist es nicht. Das ist eine modische Behauptung, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird.

Das Thema ökologische Steuerreform habe ich im vergangenen Sommer in die Steuerverhandlungen eingeführt, es wurde dann zum Modethema aller Parteien – auch der CDU und der FDP. Dann wandte sich die Industrie gegen die ökologische Steuerreform, der Bundeskanzler sprach sich dagegen aus und mit ihm die CSU. Danach schrieben viele plötzlich, die ökologische Steuerreform sei nicht mehr modern. Diese modische Wendung ist falsch.

Die ökologische Steuerreform ist nach wie vor modern und wird auch durch ökonomische Fakten gestützt. Wir sind Exportweltmeister bei der Umwelttechnik, der Markt für Umweltgüter wird weltweit auf 1.000 Milliarden Dollar geschätzt. Es ist sinnvoll, unsere Stellung als Exportweltmeister in der Umwelttechnik durch das Steuer- und Abgabensystem zu unterstützten und weiter auszubauen.

Die Frage ist, wie vermitteln Sie diese Einsicht in der Krise?

Es muß mehr als bisher deutlich werden, daß die ökologische Steuerreform ein Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen ist.

Glauben Sie, daß in den kommenden Jahren in Deutschland noch Wohlstandszuwächse möglich sind?

Ich hoffe, daß es Wohlstandszuwächse geben wird. Ein Wohlstandszugewinn ist auch eine saubere Umwelt oder mehr Freizeit durch Überstundenabbau.

Gilt das auch für materielle Wohlstandszuwächse?

Die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit ist ein materieller Wohlstandszuwachs.

Sie haben sich vor acht Jahren mit den Gewerkschaften angelegt, als sie sagten, die 35-Stunden- Woche mit vollem Lohnausgleich sei nicht zu haben. Aber im Moment lautet Ihre Botschaft an die Wählerinnen und Wähler nicht: Ihr müßt zurückstecken, dann kann es eine sozial gerechtere Ordnung in der Bundesrepublik geben.

Die Forderungen nach Abbau von Überstunden und der Abgeltung durch Freizeit sowie nach Einrichtung von Arbeitszeitkonten entsprechen genau meiner damaligen Position.

Es geht um einen Lernprozeß in unserer Gesellschaft. Wir müssen lernen, daß eine intakte Umwelt und mehr Freizeit ein Wohlstandsgewinn sind. Bei der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit müssen immer einige zurückstecken, damit es anderen bessergeht.