Angst vor Anschlägen, Druck von der Regierung

■ Am Sonntag findet in Algier eine Generalversammlung der algerischen JournalistInnen statt. Ein neues Zensurgesetz erschwert ihre Arbeit zusätzlich

Algier (taz) – Auf dem Schreibtisch liegt noch immer Zement, kleine Brocken, die von der Decke gefallen sind oder von der Wucht der Explosion durch die berstenden Scheiben geschleudert wurden. Am 11. Februar 1996 hat eine Autobombe die Redaktionsräume von sechs Zeitungen im Haus der Presse in Algier zerstört oder schwer beschädigt. Vierzehn Menschen wurden durch das Attentat getötet, 52 weitere verletzt. Als Täter werden islamistisch Terroristen vermutet.

Ende März werde das Pressehaus „wieder so schön sein wie vorgestern“, versprach Ministerpräsident Ahmed Ouyahia am Morgen nach dem Attentat. „Dafür muß ein Wunder geschehen“, sagt Ouassila Sisaber, Chefin des Ressorts Kultur und Gesellschaft bei der Tageszeitung L'Opinion, wenige Tage vor Ablauf der Frist. Staub bedeckt Papiere, Stifte und das Telefon in einem Büroraum der schwer beschädigten L'Opinion. Durch die Plastikplane vor dem zerbrochenen Fenster dringt der Lärm der Autos von der belebten Straße Hassiba Ben Bouali im Viertel Belcourt und der Krach der Bauarbeiten. Immerhin ist die Baracke fast fertig, die künftig die Redaktion der Tageszeitung Le soir d'Algérie beherbergen soll, doch ansonsten gehen die Arbeiten nur schleppend voran.

Die Arbeit zwischen Schutt und wackeligen Wänden, der Lärm – das sind Widrigkeiten, die im Berufsalltag algerischer JournalistInnen fast nur noch eine Nebenrolle spielen: Sie arbeiten mit tödlichem Risiko, gegen die Zensurmaßnahmen der Regierung und für Gehälter, die zum Teil unter dem Mindestlohn von umgerechnet knapp 170 Mark liegen.

Am Sonntag, dem Tag, an dem die Bauarbeiten abgeschlossen sein sollten, treffen sich die algerischen JournalistInnen und Herausgeber zu einer Generalversammlung, auf der die Probleme des Berufs zur Sprache kommen sollen. Initiiert wurde die Versammlung von der Internationalen Journalistenföderation (FIJ), deren Sitz in Algier am gleichen Tag eingeweiht wird. Die Organisatoren sind der Algerische Journalistenverband (AJA) und der Herausgeberverband (AEJ); die Unesco schickt einen Beobachter.

Seit November 1993 wurden 58 JournalistInnen ermordet. Islamistische Terroristen gelten als Täter, doch manch einer gibt zu bedenken, daß auch das Regime Interesse am Verschwinden kritischer Stimmen haben könnte. So weit geht Mohammed Tahar Messaoudi, Chefredakteur der Tageszeitung El Watan, nicht, aber: „Wir leiden unter dem Druck der Terroristen und unter dem Druck der Regierung.“

Im Februar hat die Regierung eine Zensurmaßnahme verhängt, nach der die Druckereien nur noch Informationen über terroristische Aktivitäten vervielfältigen dürfen, die von den Sicherheitskräften autorisiert wurden. Seitdem wurde die Wochenzeitung La Nation dreimal in der Druckerei beschlagnahmt, zuletzt am 26. März. Damit wurde die Auslieferung des Blattes seit Januar 1995 zum achten Mal ohne richterliche Entscheidung verhindert.

„Wir haben nur durch die staatliche Nachrichtenagentur APS von einem Kommuniqué des Innenministers erfahren, in dem er uns der Apologie des Terrorismus beschuldigt“, erklärte die Direktorin des Blattes, Salima Ghezali. Darin sei der Redaktion außerdem vorgeworfen worden, daß sie einen Artikel aus der vorausgehenden Ausgabe wiederaufgenommen hat, die ebenfalls beschlagnahmt worden war – damals ohne jede offizielle Erklärung. Dabei handelt es sich um einen Bericht über den Kongreß der „Front der sozialistischen Kräfte“ (FFS) in Algier.

Grund für die jüngste Zensurmaßnahme sei eine Reportage über bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen gegen den Terrorismus, vermutete Ghezali. Anfang März wurde eine Ausgabe beschlagnahmt, die ein Dossier über Menschenrechtsverletzungen in Algerien enthielt. Bettina Rühl