■ Normalzeit
: Ermittlungspolitiken im Wandel

Zur „Berlinale“-Nachbereitung gehört auch ein Drehbuchschreiber-Treffen im neuen Café Einstein des Pietzsch-Palais unter den Blinden, wo es wieder einmal um das Filmthema „ZERV“ ging: Um die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, deren Recherchetätigkeit gleich nach der Wende relativ furios begann: Kriminalkommissar Uwe Schmidt übergab beispielsweise dem Treuhandchef Rohwedder an einem Freitag brisantes Material über verschiedene Vorgänge in dessen Privatisierungsbehörde. Rohwedder wollte damit sogleich am Montag eine Pressekonferenz einberufen – am Sonntag wurde er jedoch erschossen.

Bereits vor einigen Monaten kehrte Uwe Schmidt in sein früheres Tätigkeitsfeld „Organisierte Kriminalität“ zurück. Nach Meinung der an fulminanten Filmthemen Interessierten aus Ost- und Westberlin hat die ZERV sich inzwischen so gut wie vollständig von Westberliner CDU- und Baugeschäften instrumentalisieren lassen: Als erstes half sie – vergeblich – der Trigon GmbH, ihre Interhotel-Pleite abzuwenden, indem sie Ermittlungen gegen die „Investitionsverzögerer“ unter den zum großen Teil jüdischen Restitutionsbearbeitern anstellte. Das betraf dann auch den erfolgreichen Ostberliner Vermögens-Dekonstrukteur Gerhard Fuchs-Kittowski: Von sogleich losermittelnden ZDF- Journalisten hieß es, es werde gegen ihn ermittelt. Bisher, sagt er, sei es jedoch außer zu derlei ZERV-Androhungen zu keiner Einvernehmung gekommen.

Bei der nächsten vermeintlichen ZERV-Aktion kam es zu einem Verfahren – jedoch gegen die Ermittlungsstelle selbst: nachdem gut getimt kurz vor der ersten Bundestagsrede des neuen PDS-Abgeordneten Stefan Heym eine Stasiakte über ihn in Bonn die Runde gemacht hatte – deren Zusammenstellung nicht auf die Stasi bzw. Gauck-Behörde, sondern auf die ZERV zurückverwies. Heym, über den bereits die Mielke-Behörde 1980 einen „Arbeitsplan“ gefaßt hatte, um „ihn in der Öffentlichkeit unglaubwürdig zu machen“, erstattete umgehend Strafanzeige.

Das hielt aber die Ermittlungsbeamte anscheinend nicht davon ab, sich Ende 1995 noch einmal schriftstellerisch zu versuchen: Zu Händen des ehrbaren Bürgerrechtlers Pflugbeil wurde ein Dossier über den PDS-Bürgermeisterkandidaten in Prenzlauer Berg, Burkhard Kleinert, in die dortige Politszene eingebracht. Darin wurde Kleinert sogar der immer noch andauernden Stasi- Mitarbeit in mittlerweile mafiaähnlichen Organisationen beschuldigt, das Ganze war mit einer ZERV-Aktennummer quasi verifiziert.

Dummerweise handelt es sich bei Kleinert aber um einen, wenn nicht den am längsten von der Stasi bespitzelten Bürgerrechtler: Er wird seit 1967 überwacht. Seine Akte umfaßte am Ende der DDR 13 Ordner, wobei nach 2.700 weiteren Seiten in der Gauck-Behörde derzeit noch gesucht wird. Der Ökonom, der heute einige linke Firmen berät, reagierte denn auch sofort und veranlaßte Sebastian Pflugbeil, sich von dem Dossier zu distanzieren, außerdem legte er der Bezirksverordnetenversammlung die schönsten Stellen aus seiner Akte zum Gegenbeweis vor – und erstattete Anzeige gegen die Urheber dieser Polit-Charade.

Während man sich in Prenzlauer Berg lustvoll auf das dadurch beschleunigte Zerbröseln der dortigen Opposition bis in das Stellengerangel um die Bezirksamtsgewalten hinein konzentriert („Wenn wir gewußt hätten, daß die Demokratie soviel Spaß macht, hätten wir schon viel früher damit begonnen“, so einer der Philosophen dort, Lothar vom „Torpedokäfer“), versucht der Drehbuchschreiber-Kreis in Mitte dagegen fast interesselos, die Wahrheit in der ZERV zu halluzinieren. Ob der für die Filmförderung in der Stadt zuständige Bayer Keil jedoch solche Gegenwartsstücke zu schätzen weiß oder ob auch dort bald ein ganz anderes Dossier zirkuliert, bleibt abzuwarten. Das nächste Treffen ist im Rahmen eines Hollywood- Dialog-Workshops im „Haus Ungarn“. Wir erinnern uns: In Ungarn – mit den Millionen von Dietrich Genscher und Mark Palmer, die den DDR-Bürgern „freie Fahrt nach Gießen“ ermöglichten – fing alle „Regierungskriminalität“ an! Helmut Höge

wird fortgesetzt