Bonn auf der Suche nach Europa-Sympathisanten

■ Vor dem EU-Gipfel gab sich die Union demonstrativ optimistisch

Die Bundesregierung verfolgt mit der heutigen Regierungskonferenz vor allem ein Ziel: Die immer unbeliebtere Europa-Idee doch noch irgendwie unter die Leute zu bringen. Diesem Anliegen dürfte Karl Lamers gestern keinen Gefallen getan haben. Einen Tag vor der Turiner Reformkonferenz forderte der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion gestern die tätige Solidarität Europas für die vom Exportverbot für Rinder geschockten Briten. „Das Land könnte in einem Maße betroffen sein, das wir uns nicht vorstellen können“, orakelte der Unionspolitiker. Im Klartext: Europäische Steuerzahler sollen für die Kosten aufkommen, die wegen der jahrelangen Verharmlosungspolitik der Londoner Regierung nun auf die Wirtschaft Großbritanniens zukommen. Aber Lamers zeigte Verständnis für die Briten: „Wir haben alle schon Unsinn gemacht.“

Dem auch in Deutschland grassierenden Mißtrauen gegen Brüssel wollten Lamers und sein Fraktionschef Wolfgang Schäuble gestern noch einmal mit demonstrativ zur Schau getragenem Optimismus begegnen. Der Fortschritt der europäischen Einigung – für Schäuble „das wichtigste Projekt der deutschen Politik bis zum Ende des Jahrzehnts“ – verlangt aber auch Opfer. Denn die notorisch europakritischen Briten sollen nach dem selbstverschuldeten BSE-Skandal und dem Exportverbot nicht noch renitenter gegen ihre kontinentalen Partner reagieren.

Deswegen, und um den Einfluß kleiner Staaten nach einer eventuellen Erweiterung nicht zu groß werden zu lassen, soll nach dem Willen der CDU-Fraktion in Zukunft ein System doppelter Mehrheiten gelten – der Mehrheit der Regierungen muß auch eine Mehrheit der von ihnen repräsentierten Bevölkerungen entsprechen.

Zwar mochte die Bundesregierung einem Vorschlag Frankreichs, einen sogenannten „Mister X“ als Quasiaußenminister der Europäischen Union einzusetzen, nicht folgen. Durchaus aber, so formulierten Schäuble und Lamers gestern, solle die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch eine vom Rat gewählte politische Persönlichkeit „Gesicht und Stimme“ bekommen – nur wesentlich tiefer gehängt, als Generalsekretär einer „Analyse- und Planungseinheit“, die dem Ministerrat untergeordnet ist.

Für eine weitergehende Konzentration der Außenpolitik sei, so hatte Außenminister Klaus Kinkel (FDP) es formuliert, die Zeit noch nicht reif. Als „möglicherweise entscheidende“ Frage von Turin sieht Lamers die Entscheidung über das Kerneuropa-Konzept: Nach deutschem Wunsch soll eine Gruppe von Ländern in der EU enger zusammenarbeiten als andere Mitglieder der Gemeinschaft. Vor zwei Jahren waren die Kerneuropa-Thesen von Lamers noch auf Empörung und teilweise auf erbitterten Widerstand gestoßen. Die Kritiker witterten damals hinter dem Vorschlag ein Elitekonzept, das die Gemeinschaft in eine Zweiklassengesellschaft aufteilen und damit langfristig sprengen würde. Nun versicherten die beiden Unionspolitiker, es gehe nicht um die Schaffung eines „geschlossenen Kerneuropas“, sondern um die Bildung einer Art „Avantgarde“, die schneller als andere Integrationsfortschritte machen wolle, ohne sich von den langsameren Mitgliedern der Gemeinschaft abzuschotten oder diesen später einen Beitritt zur Kerntruppe zur verwehren.

Die CDU hält am Konzept „Kerneuropa“ fest

Der Maastricht-Vertrag, insbesondere die Währungsunion, stehe in Turin nicht auf der Agenda, stellte Schäuble gestern klar: „Wir sind unerschütterlich der Überzeugung, daß wir die eingegangenen Verpflichtungen des Maastrichter Vertrags auch erfüllen werden.“

Auch die Bündnisgrünen präsentierten ihre Forderungen an Turin: Die Bundesregierung müsse die europaweite Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu einem Hauptziel der Reformkonferenz machen. „Wenn für dieses Problem keine europaweite Lösung in Sicht ist, wird Europa von den Menschen nicht akzeptiert werden“, prophezeite Vorstandssprecher Jürgen Trittin. Weiter fürchten die Grünen, daß als Ergebnis von Turin in der EU zwar Zuständigkeiten und damit Macht weiter zentralisiert werde, die Demokratisierung jedoch weiter auf der Strecke bleibe. Wer aber Europa zentralistisch von oben anordne, so warnte Trittin, ernte nur eine Renationalisierung in den Mitgliedsländern. Hans Monath, Bonn