"Faire Chance für Lebenslängliche"

■ Gestern stellte der scheidende Kieler Justizminister KLaus Klingner in Bonn seine Initiative zur Abschaffung der lebenslangen Haftstrafe vor. Klingner führt vor allem humanitäre Argumente für seinen Vors

In Westdeutschland sitzen gegenwärtig rund 1.200 Menschen in den Gefängnissen, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden; in jedem Jahr kommen rund 70 hinzu. Nach Angaben von Experten stirbt heute jeder fünfte von ihnen im Gefängnis.

taz: Herr Klingner, was bewegt Sie dazu, jetzt die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe zu fordern?

Klaus Klingner: Meine jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem Strafvollzug und dem Gnadenwesen. Der Strafvollzug für Lebenslängliche läßt sich nach meinen Erkenntnissen nicht rational gestalten. Mit den bisherigen Krücken – Umwandlung durch Gerichtsentscheidung und Begnadigungsentscheidungen – kann man keine vernünftige, auf ein berechenbares Ende ausgerichtete Vollzugsplanung machen.

Dazu kommt das Argument des Bundesverfassungsgerichts: Auch wer schwerste Schuld auf sich geladen hat, muß die Chance bekommen, sich zu ändern. Lebenslänglich ist auch keine Hilfe für die Opfer.

Was ist mit der abschreckenden Wirkung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe, die von den Befürwortern immer ins Feld geführt wird?

Die gibt es nicht. Ich habe ein Gutachten in Auftrag gegeben. Danach weisen die Länder, die die lebenslängliche Freiheitsstrafe abgeschafft haben, wie Spanien, Norwegen und Zypern, keine höhere, sondern eine geringere Zahl von Tötungsdelikten auf. Das gleiche gilt übrigens, aber das weiß man schon länger, für die Todesstrafe. Die Länder mit Todesstrafe haben mehr Tötungsdelikte als die ohne.

Wie wollen Sie Ihr ehrenvolles Engagement konkret umsetzen?

Man muß eine zeitig begrenzte Strafe an die Stelle der lebenslänglichen Freiheitsstrafe setzen. Mein Vorschlag ist, den Mordparagraphen zu streichen und alle Tötungsdelikte in einem Paragraphen zusammenzufassen. Die neue Höchststrafe für bestimmte Tötungsdelikte sollte bei 25 Jahren liegen. Wer sich entsprechend führt und eine positive Entwicklung aufweist, käme dann nach zwei Dritteln dieser Höchstrafe, also nach 16 Jahren, wieder frei.

Aber was ist dann der Gewinn? Auch heute kommen viele Lebenslängliche bereist nach 16 Jahren wieder in die Freiheit.

Andere aber erst nach 24 Jahren. Es gibt in der Bundesrepublik ein starkes Gefälle. Im Süden sind sowohl die Verbüßungszeiten wie auch die Anzahl der Tötungsdelikte höher als im Norden. Mir geht es um Berechenbarkeit. Sowohl für den Verurteilten wie für den Vollzug. Mir geht es um rationale Gestaltung. Der Verurteilte muß eine faire Chance haben, sein Leben in Freiheit ohne Straftaten zu führen. Hierzu müssen die Vollzugsanstalten Hilfe leisten, Vollzugspläne erstellen, Urlaub und Freigang gewähren. Das ist nur möglich, wenn man auch einen klaren Zeitrahmen hat.

Sie sind nicht der erste, der die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe fordert. Es gibt seit Jahren von engagierten Institutionen und anderen Personen entsprechende Initiativen – letztendlich bleibt es aber bei Verbalbekundungen.

Leider. Ich habe meinen Vorschlag, insbesondere auch das Ergebnis des Gutachtens, wonach der Verzicht auf die lebenslängliche Freiheitsstrafe keine Sicherheitseinbuße darstellt, meinen Kolleginnen und Kollegen in Bund und Ländern mit der Bitte zugeleitet, sich damit auseinanderzusetzen. Wer auf rationale Argumente hört, sollte sich darauf einlassen.

Schöne Hoffnung ...

Aber nicht übergroß. Wo es auf das Ende meiner Amtszeit zugeht, bin ich es meinen eigenen Erfahrungen schuldig, an die, die es angeht, noch mal den Appell zu richten: Leute, geht vernünftig und nicht mit dem sogenannten gesunden Volksempfinden ran, und denkt daran, daß Strafe einen Sinn haben muß. Außerdem nimmt die Zahl der Tötungsdelikte seit Jahren ab. Interview: Julia Albrecht