Eine Krise der SPD, nicht der Grünen

■ Um das rot-grüne Projekt zu retten, fordert Jürgen Trittin, Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, von Lafontaine eine Richtungsentscheidung. Die SPD müsse sagen, wo sie verlieren wolle, zur Zeit verliere sie überall

taz: Nach diesem Sonntag rückt eine rot-grüne Regierungsperspektive wieder in weite Ferne.

Jürgen Trittin: Die rot-grüne Mehrheit in Bonn ist momentan zweieinhalb Jahre entfernt, denn dann wird gewählt. Ich habe vor Voraussagen gewarnt, wonach diese Regierung zerbrechen werde, und auch das Gerede von der unmittelbar bevorstehenden großen Koalition hat mich nicht überzeugt. Ich verstehe aber, daß jene unter Katerstimmung leiden, die so etwas vorausgesagt hatten. Ich selbst habe das Ergebnis der Grünen erwartet. Wir haben bei der siebten oder achten Landtagswahl zugelegt.

Gemeinsam haben SPD und Grüne gegen eine hilflose, reformunfähige Regierung verloren. Ist das keine schlimme Niederlage?

Das ist eine schlimme Niederlage der SPD. Ich lasse mir nicht einreden, daß die Krise der SPD die Krise der Grünen ist. Die SPD hat die Landtagswahlen verloren. Ihr schlechtes Image als „Loser“- Partei hat Ursachen, die unter anderem in widersprüchlichen Interessen der eigenen Klientel liegen. Das ist aber keine aktuelle, sondern eine strukturelle Krise. Die Grünen sind aus den Wahlen gestärkt hervorgegangen und dritte Kraft geblieben. Die SPD verliert überall dort am meisten, wo sie sich in Wort und Tat am heftigsten an die Konservativen anbiedert.

Welchen Anteil hat Oskar Lafontaine an der Niederlage?

Oskar Lafontaine muß das fertigbringen, woran Scharping gescheitert ist – eine Richtungsentscheidung seiner Partei. Er muß eine eigene, sozialdemokratische Antwort auf die Probleme ihrer Klientel geben. Dazu bedarf es einer Entscheidung, wo die SPD verlieren möchte. Im Moment will sie gar nichts abgeben und verliert deshalb gleichmäßig an allen Fronten.

Warum soll die SPD auf die Ratschläge hören?

Dort, wo die SPD mit den Grünen regiert hat, mußte sie die geringsten Verluste hinnehmen. Die SPD muß sich für ein eigenständiges, konsistentes Programm entscheiden, das Mehrheiten jenseits der Union ermöglicht. Konsistent ist es aber nicht, sich als Verteidiger des kleinen Mannes anzubieten und gleichzeitig zu signalisieren, daß man ihm in die Tasche greifen will.

Wahlforscher sagen, grüne Zugewinne gehen oft auf Kosten der SPD. Droht mit einer Grünen- freundlichen SPD nicht ein Nullsummenspiel?

Die Helden der Demoskopie sollten nach dieser Wahl ein bißchen stille sein. Wahlen werden darüber entschieden, ob man seine potentiell erreichbare Klientel mobilisieren kann oder nicht. Das ist der SPD nicht gelungen. Geringe Wahlbeteiligung schadet ihr, in sozialpolitischen Krisenregionen verliert sie.

Kommt den Grünen die Rolle einer Betschwester der SPD zu?

Nein. Sie fragen doch nach der SPD.

Aber Sie wollen doch in Bonn mitregieren?

Wenn die Sozialdemokraten so weitermachen, wird das möglicherweise bis zu dem Zeitpunkt dauern, da wir eine absolute Mehrheit haben.

Die Grünen haben nach dem Sonntag keinen Anlaß zur Selbstkritik?

Sehen Sie doch das Ergebnis in Baden-Württemberg an. Da ist das Potential grüner Stimmen von einem sehr erfahrenen, politisch hochmotivierten Landesverband ausgeschöpft worden. Da muß mir doch jemand erklären, was wir noch besser machen könnten. Wir haben unsere Aufgaben in den drei Ländern zur vollen Zufriedenheit gemacht. Interview: Hans Monath