Strafprozeßordnung auf der Anklagebank

■ 500 StrafverteidigerInnen warnen vor polizeilichen Schnellverfahren

Essen (taz) – Effektivität und Kostendämmung sind die Schlagworte des Gesetzgebers. Sie dienten in den vergangenen Jahren immer wieder zur Beschneidung der Rechte von Beschuldigten. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, waren am vergangenen Wochenende rund 500 Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger nach Essen gereist. „Die weitere Demontage des Strafprozesses zu einem polizeilichen Schnellverfahren“, so die Abschlußresolution des 20. Strafverteidigertages, „muß verhindert werden.“

Allein in den letzten 20 Jahren wurde die Hälfte aller Vorschriften in der StPO neu gefaßt, gestrichen oder ersetzt. Schon jetzt ist das Recht von Verurteilten im Bereich der Kleinkriminalität, Rechtsmittel einzulegen, beseitigt. Geschmälert wurde das Recht der Verteidigung, entlastende Beweisanträge zu stellen, und eingeführt wurde ein (Maulkorb-)Paragraph, wonach das Gericht die Verteidigung dazu verdonnern kann, alle Anträge schriftlich zu stellen.

Folge: Mit dem Zugriff auf die Mündlichkeit des Verfahrens wird in eines der wesentlichen Strukturprinzipien des Strafprozesses eingegriffen. Sieht man, wie die Strafrechtler, die StPO als „Seismographen“ für Veränderungen der Verfassungswirklichkeit an, dann kommt man zu dem Ergebnis, „daß diese Verfassungswirklichkeit seit 20 Jahren von einem Beben erfaßt ist, dessen Ende nicht absehbar scheint“, so der Strafrechtsprofessor Uwe Scheffler.

Und es geht so weiter. Ausgeweitet wurden bereits die Möglichkeiten des Staates, im Vorfeld eines Prozesses mit verdeckten Ermittlern und Polizeispitzeln dem vermeintlichen Täter auf die Schliche zu kommen. Grundgesetzänderungen stehen an, wonach die Unantastbarkeit der Wohnung eingeschränkt und das unbeschränkte Mithören und Mitsehen im Intimbereich Recht werden wird. Schon jetzt hat der Bundesnachrichtendienst die Kompetenz, wahllos Telefone und Telefaxe anzuzapfen und aufzuzeichnen, ohne dem so Erfaßten Mitteilung machen zu müssen. Auch die Eigentumsgarantie im Grundgesetz soll zu Lasten von Angeklagten geschmälert werden. Schon jetzt kann aufgrund der bloßen Vermutung, Vermögen sei unredlich erworben, einem Verurteilten das Vermögen entzogen werden.

Die Teilnehmer des 20. Strafverteidigertages fürchten, daß ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen ist. Die Effektivität der Mittel, wie der Gesetzgeber es vorgibt, sowie die Kostenersparnis, seinen nichts als Worthülsen. Jeder Bürger zahle jedes Jahr für die Rechtspflege lediglich 150 Mark. Sämtliche Gesetzesänderungen haben nicht zur Verkürzung von Verfahren geführt.

Das gibt auch die Bundesregierung zu, wenn sie 1990 formulierte: Zwar gebe es keine genauen Daten, aber „wahrscheinlich sei die Dauer und Zahl der Strafverfahren gestiegen“. An anderer Stelle heißt es, daß eine Kosten- und Effektivitätsanalyse aus Kostengründen gar nicht erst gemacht werden könne. Handlungsbedarf bestehe aber allenthalben. Einer der wenigen anwesenden Richter, Armin Nack vom Bundesgerichtshof, weiß, daß vor allem mit der Beschneidung von Rechtsmitteln keine Beschleunigung herbeizuführen ist. Ein Vergleich mit Schweden würde vielmehr nahelegen, „eine zweite Tatsacheninstanz einzuführen“. Nicht die Beschneidung von Rechten, nicht der „kurze Prozeß“, so auch die feste Überzeugung der StrafverteidigerInnen, sondern deren Erweiterung würde im Ergebnis zu weniger aufwendigen Prozessen führen. Nur ein Zusammenwirken zwischen den Verfahrensbeteiligten, nicht die Konfrontation um jeden Preis, führe zu gerechten Ergebnissen.

Den rund 500 StrafrechtlerInnen auf dem Strafverteidigertag geht es um viel: um verfassungsrechtlich gewährte Rechte, die letztlich nur einem dienen: „die unschuldig in Verdacht Geratenen und damit letztlich uns alle“, wie die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, in ihrem Einführungsreferat sagte, „vor den Vor- und Fehlurteilen der Selbstgerechten und der Gerichte zu schützen“.

Wie also dem sich immer schneller drehenden Karussell der Rechtsbeschneidung Einhalt gebieten? Gegen die Innen- und Justizminister, die so gern das Wort von der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ ins Feld führen, verweist Jutta Limbach auf den „Ethos der Rechtsstaatlichkeit“. Das meint „eine Geisteshaltung, die alles staatliche Handeln durchdringen soll und zur Askese gegenüber hehren Prinzipien der Verfassung auffordert“. In der Sprache der Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger: „Die geplante Verfahrensordnung des ,kurzen Prozesses‘ verstößt gegen das Gebot, auch den Angeklagten nicht zum Objekt des staatlichen Handelns zu machen.“ Julia Albrecht