Der Kanzler soll auf den Tisch hauen

■ SPD-Fraktionschef Scharping sieht Wirtschaft in einer Rezession. Bund-Länder-Gruppe Finanzen ohne Ergebnis

Bonn (taz) – Rudolf Scharping sehnt sich offenbar nach der Führung des Bundeskanzlers. Drei Tage vor den Landtagswahlen hat der SPD-Fraktionsvorsitzende dem Regierungschef gestern vorgeworfen, getroffene Absprachen nicht garantieren zu können und die Bevölkerung über das wahre Ausmaß des Haushaltsdefizits zu täuschen. Dem von den Metall-Arbeitgebern totgesagten Bündnis für Arbeit komme bei der Haushaltssanierung eine enorme Rolle zu. Angesichts der Gefährdung des sozialen Friedens sei nun die „Führerschaft des Kanzlers“ gefragt: „Es ist völlig unverständlich, daß der Bundeskanzler nicht auf den Tisch haut und die Sache in Ordnung bringt.“

Sowohl in der Sache als auch im Ton legte Scharping gestern noch einmal zu: Angesichts von Wirtschaftsdaten, die einen Rückgang des Wachstums zeigten, könne man nur von einer Rezession sprechen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Bundeshaushalt verschweige die Koalition wider besseres Wissen: „Diese beschissene Tradition, daß vor den Wahlen gelogen wird, daß sich die Balken biegen, ist schädlich für die Demokratie.“ Die Attacke auf das Bündnis für Arbeit vermittle den Eindruck, „im Kanzleramt unterschreibt man auf Klopapier“.

Als vollkommen unglaubwürdig bezeichnete Scharping die Ankündigung der Koalition, Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen sowie den Solidarzuschlag zu senken. Diese Schritte würden insgesamt 16 bis 17 Milliarden Mark kosten. „Dafür ist kein Raum, alles andere ist gelogen“, meinte er.

Um „Konsolidierungsmaßnahmen“ ging es gestern auch beim ersten Treffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Finanzen. Bundesfinanzminister Theo Waigel, Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) lobten nach dem Treffen einvernehmlich die sachliche Atmosphäre des Gesprächs. In inhaltlichen Fragen – wie etwa bei der Unternehmenssteuerreform – kamen sie aber kaum voran. Einig war man sich darin, für die öffentlichen Haushalte möglichst noch vor der parlamentarischen Sommerpause einen Plan für die notwendigen Einsparungen vorzulegen. Bei der nächsten Sitzung im April sollen die jeweiligen Daten zur Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen verglichen werden. Hans Monath