■ Im frühlingshaften Paris gingen gestern die Pret-a-porter-Schauen zu Ende. Trotz einiger aufregender Spektakel ist die Enttäuschung einigermaßen groß. Die Schauen in Mailand waren diesmal viel mutiger
: Eingerostete Kühnheiten

Im frühlingshaften Paris gingen gestern die Prêt-à-porter-Schauen zu Ende. Trotz einiger aufregender Spektakel ist die Enttäuschung einigermaßen groß. Die Schauen in Mailand waren diesmal viel mutiger

Eingerostete Kühnheiten

Die französischen Designer hatten das Spiel schon verloren, bevor sie auch nur ein einziges Kleid zeigen konnten. Nach den Modeschauen in Mailand, die eine Woche zuvor stattgefunden hatten, war klar: Den Trend setzen erst mal die Italiener. „Wir werden unser Budget für italienische Mode erhöhen, für Armani werden wir es sogar verdoppeln“, erklärte Kal Ruttenstein, der einflußreiche Modeeinkäufer des New Yorker Kaufhauses Bloomingdales, der amerikanischen Zeitschrift Womens Wear Daily. Und er war nicht der einzige, der so sprach. Gucci und Prada räumten mit ihrem coolen 70er-Jahre-Chic das Feld der jungen Kundschaft ab, Armani und Jil Sander, die ihre Kollektionen ebenfalls in Mailand zeigt, ernteten für ihre edel-klassische Eleganz enthusiastische Kritiken.

Die Pariser Prêt-à-porter-Schauen, die gestern zu Ende gingen, hinterlassen dagegen ein trauriges Gefühl. Es hätte so spannend werden können! Noch nie haben so viele junge Designer mitgemischt wie in dieser Saison: Da waren die Mittdreißiger, die eine Reihe altehrwürdiger Modehäuser erobert haben – Ocimar Versolato, 35 (Jeanne Lanvin), Frédéric Molenac, 30 (Grès), John Galliano, 35 (Givenchy), Josephus Melchior Thimister, 33 (Balenciaga), Narcisso Rodriguez, 35 (Cerruti). Außerdem hat das französische Industrieministerium fünf Millionen Francs an 30 junge Nachwuchsdesigner verteilt und läßt pro Saison zwei dieser Designer ihre Kollektion kostenlos im Caroussel du Louvre vorführen. Diesmal waren es Richard Voinnet, 27, und Christophe Rouxel, 29. „Welcher dieser Sprößlinge wird wohl zu einer mächtigen Eiche in der Zukunft – ein Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent seiner Generation?“ fragt Suzy Menkes zu Beginn der Pariser Schauen aufgeregt in der International Herald Tribune. Die Antwort kann nur lauten: Keiner.

Die größte Enttäuschung war die Schau von Givenchy. Das Haus war in den 60er Jahren berühmt für seinen untadeligen simplen Chic: Dort kleideten sich einst die Reinheitsikonen Audrey Hepburn und Jacqueline Kennedy ein. Der Gründer, Graf Hubert de Givenchy, trat im Oktober ab. Sein Nachfolger ist ein junger Brite, der als Genie gehandelt wird, seit seine Abschlußkollektion am Londoner College St. Martin of the Fields komplett von dem erstklassigen Londoner Modehaus Barney's aufgekauft wurde: John Galliano.

Unter seinem eigenen Label hat der Sohn eines aus Gibraltar eingewanderten Klempners zerrissene Travelermäntel auf den Laufsteg gebracht, die sagenhafte Schnittechnik der Madeleine Vionnet aus den 30er Jahren für seine berühmten Slipkleider wiederentdeckt, phantastische Kimonokleider und rasante 50er-Jahre-Kostüme entworfen. Seine handwerkliche Meisterschaft und Originalität berechtigten zu den schönsten Hoffnungen: Wenn er Givenchy wieder zu Ruhm und Ansehen verhelfen würde, dann würde ein Abglanz davon auf die gesamte Pariser Mode fallen.

Doch statt kühner Erneuerung gab es Schleifchentaschen auf klassischen grauen Kostümen und kurze Rüschenkleider – „gerade richtig für eine Gartenparty bei John Major“, befand kühl Laurence Benaim in Le Monde. Recht hat sie, die Kollektion ist mutlos.

Zugegeben – dies ist nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, um mit dem Risiko zu spielen. Im Januar hat das französische Amt für Statistik, das Insee, erklärt, daß das Vertrauen der französischen Konsumenten in die Zukunft gegenwärtig seine schlimmste Krise seit 1987 erlebt.In Deutschland ist der Verkauf im Einzelhandel um fünf Prozent gesunken. Ähnlich die Situation in Großbritannien, Italien und den USA. Offenbar deshalb hatten die Kollektionen für Lanvin, Givenchy und Grès vor allem eines im Sinn: Bloß die alte Kundschaft nicht vergrätzen.

Statt kühner Erneuerung gibt's Schleifchentaschen

Ganz anders die Italiener! Marken wie Prada oder Gucci haben in den letzten zwei Jahren radikal ihr Nur-für-alte-Damen-Image geopfert. Es war ein heikler Balanceakt, aber er ist rundherum gelungen: klare, einfache Silhouetten, praktisch und ohne Firlefanz, gelegentlich mit Mustern bedruckt, die an die Tapeten der 70er erinnern. Diese eher kindliche Mode ist von vornherein auf die Jungen zugeschnitten, aber auch ältere Frauen dürfen sich damit anfreunden: In einem einfachen Trapezkleid sieht man vielleicht nicht sonderlich aufregend aus, aber dafür proper und ordentlich. Im Grunde ist das der Triumph der Givenchy-Mode aus den Siebzigern über die Givenchy- Mode aus den Neunzigern.

Kindisch pikiert reagiert Paris auf Mailands Erfolg

Und die Rechnung geht auf: Das Florentiner Modehaus Gucci zum Beispiel war 1993 praktisch pleite. Dann erwarb die amerikanische Gesellschaft Investcorp die Aktienmehrheit und installierte den amerikanischen Designer Tom Ford, der wie Miuccia Prada den neuen alten Stil propagiert. Seitdem erlebt die Firma einen sensationellen Aufschwung: Laut Womens Wear Daily ist der Umsatz von Gucci im vergangenen Jahr um 90 Prozent gestiegen – von 260 auf 500 Millionen Dollar. Die französischen Designer stolperten diesen Trends eine Woche später nur noch hilflos hinterher: Halbherzig griff man die Siebziger-Jahre- Mode auf (die hatte man hier ja schon mal erfunden!), ebenso halbherzig setzte man die Pariser „Couture“-Mode dagegen. Auch Galliano wurde schließlich engagiert, weil er die Couture so liebt.

Gleichzeitig reagierten einige Designer geradezu kindisch pikiert auf den Erfolg der Mailänder: Durch extrem kleine Schauen wurde für die Journalisten eine künstliche Exklusivität geschaffen, die in keinem Verhältnis zum Verkauf steht. Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die entgegen ersten Meldungen doch eine Schau veranstaltete, führte ihre Kollektion in einem intimen Zirkel von 250 Leuten vor. Galliano lud 500 und Gaultier 300. „Die Leute kommen heute nur noch wegen des Spektakels, nicht mehr wegen der Kleider“, schmollte Gaultier in der Libération. Als hätte nicht gerade er nach Kräften dazu beigetragen – mit immer ausgefalleneren Dekors und so kapriziösen Gags wie hochschwangeren Models. Das Spektakel: das war die Achtziger-Jahre-Mode, das war Gaultier, das ist out.

Der überwältigende Erfolg einzelner Marken wie Prada oder Gucci kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Verkauf von Damenbekleidung seit Jahren stagniert oder sogar rückläufig ist. Die meisten Menschen in den westlichen Industrieländern haben heute einen vollen Kleiderschrank. Weshalb soll man da 500 Mark für noch eine Hose ausgeben? Dazu kommt, daß es praktisch seit Jahren keinen einheitlichen Trend mehr gab: Alles war erlaubt. Jetzt, wo die Schauen in Mailand und Paris gelaufen sind, sieht es so aus, als ob Prada und Gucci nach dem Anything goes der achtziger Jahre wieder einen starken Trend gesetzt hätten. Vielleicht entpuppen sie sich ja auch als Totengräber der Damenmode: Die Kleider der Italiener sind uniform, einfach und praktisch – genau wie der Anzug für den Mann. Und der hat sich schließlich seit 150 Jahren kaum verändert. Anja Seeliger, Paris