„Es entstand ein Teufelskreis der Fundis“

■ Der Politikwissenschaftler Joachim Raschke über den Parteitag der Grünen in Hamm

taz: Hätten die Delegierten von Hamm anders entschieden, wenn sie wegen der kommenden Landtagswahlen nicht unter Druck gestanden hätten?

Joachim Raschke: Überraschenderweise haben in den Debatten bundespolitische Gesichtspunkte und die kommenden Landtagswahlen überhaupt keine Rolle gespielt. Es war ein Verrechnen von Vor- und Nachteilen lokaler Interessen. Schließlich überwogen die Interessen, bei denen man nachweisen konnte, daß sie von Rot-Grün vorangebracht werden, etwa in der Müll- und Energiepolitik.

Gibt es dann ein bundespolitisches Signal von Hamm?

Paradoxerweise ja. Denn sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen stellen die NRW-Landesverbände mehr als ein Viertel aller Delegierten bei Bundesparteitagen. Wenn man in Bonn regieren will, muß man realitätsgerechte Regierungserfahrung mit einbringen. Das Signal heißt: Eine rot- grüne Landesregierung in der industriellen Kernregion NRW scheitert nicht an den Grünen. Alles andere hätte den Blick auf eine Reformalternative in Bonn im Jahr 1998 verbaut.

Liegen die Ursachen der Krise in einem Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie, oder gibt es NRW-spezifische Gründe?

In NRW stehen sich Grüne und traditionelles SPD-Milieu noch wie zwei fremde Kulturen gegenüber. Es entstand ein Teufelskreis des Zusammenspiels von Fundis in der SPD und Fundis bei den Grünen. Der Unterschied ist, daß bei der SPD die Fundis im Zentrum sitzen und bei den Bündnisgrünen nun seit dem Parteitag am Rand stehen. Matthiesen und Clement können sich als regierende Fundis auf die Zustimmung ihrer Partei berufen. Solange die Nachfolge Raus nicht geklärt ist, wird die Konkurrenz der beiden ein Risiko für die Koalition bleiben.

Was bedeutet die Entscheidung von Hamm für die Stabilität der Düsseldorfer Regierung?

Der Grünen-Mainstream hat ein Mandat bekommen für ein selbstbewußtes, konfliktbereites, aber Konflikte nicht suchendes Erfolgsbündnis. Die Grünen müssen das allerdings auch umsetzen gegen die Fundi-Linke in der Fraktion und in Teilen der Partei. Bei der SPD ist die Voraussage schwieriger, denn eine Strategie ist kaum auszumachen. Man wundert sich, wie es möglich ist, daß zwei SPD-Landespolitiker den Kurs der Bundespartei bestimmen können. Auch die SPD hat NRW ja als Testfall für Bonn verstanden. Insofern wäre es an der Zeit, daß der Parteivorsitzende, der doch für Rot-Grün steht, diese Linie auch diesen beiden Landespolitikern verdeutlicht.

Lafontaine soll eingreifen?

Ja. Er müßte Clement und Matthiesen zurückpfeifen, weil sie jenseits ihrer Zuständigkeiten in unerträglichem Stil mit dem Koalitionspartner umgingen. Sie haben den an sich schlummernden Fundamentalismus bei den NRW-Grünen reaktiviert. Das war das Problem für die realistisch orientierte Linke. In Hamm gab es eine Ausdifferenzierung – in eine realistisch- offensive und eine identitätspolitisch-defensive Linke.

Was bedeutet das für die Lagerarithmetik der Bundespartei?

Zugespitzt könnte man sagen, es zeichnet sich ein innerparteiliches Bündnis von Realos und realistisch-offensiven Linken ab. Daneben existiert ein Neofundamentalismus gemäßigter Art, der für den Ausstieg aus der Regierungsbeteiligung plädiert, wenn er seine großen Forderungen nicht erfüllt sieht. Wenn die Grünen auf Regierungskurs in den Ländern und für die Bundesebene bleiben wollen, dann ist das eine notwendige Unterscheidung.

War Hamm der Abschied vom Anspruch auf unmittelbare Bürgerbeteiligung?

Nein. Es war eine der Stationen – die Reise ist noch nicht zu Ende – auf dem Weg, regieren zu lernen. Nachdem die Grünen gelernt haben, Partei zu sein, müssen sie nun regieren lernen; merkwürdigerweise muß das jeder Landesverband für sich durchleben. Dazu gehört die Einsicht, daß jede Bürgerinitiative ein begrenztes Interesse ausdrückt. In NRW gab es Initiativen aus dem Verkehrsbereich, die scharf gegen die Koalition waren, und solche, die unbedingt für die Fortführung von Rot-Grün standen. Damit war klar, daß nicht eine Initiative entscheiden konnte, sondern die Partei das Gesamtinteresse formulieren mußte. Interview: Hans Monath