Staat soll nicht Rolle der Kirche übernehmen

■ Bonner Koalition schickt Abmahnung nach Potsdam: Religion muß Pflichtfach werden. Opposition sieht dies als Anschlag auf den Föderalismus der Länder

Bonn (taz) – Kultur- und Kirchenkampf im Bundestag: Am letzten Sitzungstag des Parlaments vor den Landtagswahlen in acht Tagen, hat der Bundestag gestern mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit das Land Brandenburg abgemahnt und den Potsdamer Landtag aufgefordert, ein geplantes Schulgesetz nicht zu verabschieden. Union und FDP attackierten das Vorhaben als einen Verstoß gegen das Grundgesetz, weil darin Religionsunterricht nicht als Pflichtfach vorgesehen ist. Die Opposition sprach von Wahlkampfgetöse und einem Anschlag auf den Föderalismus.

CDU/CSU-Fraktionschef Schäuble bemühte Philosophen als Kronzeugen: Vor dem Hintergrund einer „in Ost und West tief empfundenen Wertekrise“ gefährde das Brandenburger Vorhaben „die Grundvoraussetzungen staatlich geregelten Zusammenlebens“. Mit der Einführung des Faches Lebensgestaltung – Ethik – Religionen (LER) wolle der Staat sich an die Stelle der Kirchen setzen. Deren Aufgabe der Sinnstiftung und Vermittlung grundlegender Werte könne er aber nicht übernehmen. Zudem sei die LER- Einführung „eine Einladung an totalitäre Versuchungen“.

Der brandenburgische Justizminister Hans Otto Bräutigam (SPD) wies die Einmischung zurück. Er erinnerte an die Schwierigkeiten vieler Ostdeutscher mit dem Einigungsprozeß und nannte das Vorhaben „politisch sehr unklug“. In seiner – von Burkhard Hirsch (FDP) mit Kopfnicken und Beifall begleiteten Rede – bekräftigte Bräutigam den verfassungsrechtlichen Anspruch seines Landes, den Religionsunterricht in seinen Schulen anders zu regeln als in den alten Bundesländern. Im Gegensatz zur Darstellung der Koalition solle das Pflichtfach LER keineswegs den Religionsunterricht ersetzen oder verdrängen, versicherte Bräutigam. Die Möglichkeit zum Besuch des Religionsunterrichts in der Verantwortung der Kirchen innerhalb des Regelunterrichts werde von der Landesregierung sogar finanziell gefördert.

Die kirchenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Christa Nickels, nannte es „niederträchtig“, allein zu Wahlkampfzwecken eine Debatte zu veranstalten, die zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern gehe. Ihr Fraktionskollege Volker Beck bezeichnete den Koalitionsantrag als einen „Anschlag auf die kulturelle Eigenständigkeit der Länder“. Einer Klage gegen Brandenburg vor dem Bundesverfassungsgericht sehe er siegesgewiß entgegen. Hans Monath